„April Bindestrich, 30. April Zahl, Schaltfläche, Schaltfläche, auswählen, 15, Zimmer, avif, Badezimmer, avif, Stadt, avif“: Was sich wie eine geheimnisvolle Chiffre anhört, ist die Erfahrung, die blinde oder sehbehinderte Internetnutzerinnen und -nutzer oft machen, wenn sie im Internet versuchen, über einen sogenannten Screenreader, also eine Software, die Alternativen zu grafischen Benutzeroberflächen bietet, ein Hotelzimmer zu buchen. Statt digitaler Inklusion erleben sie Frustration, weil Buttons nicht benannt wurden, Bilder nicht gekennzeichnet sind und Alternativtexte die Bilder nicht ausreichend beschreiben.
Doch die Zeiten ändern sich: Am 28. Juni 2025 tritt die neue EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit (European Accessibility Act – EAA) in Kraft. Sie verpflichtet alle privatwirtschaftlichen Anbieter der EU, ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Und Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, Websites so zu optimieren, dass auch blinde Menschen sie nutzen können. Sie geht darüber hinaus und erfordert auch die Verbesserung von Elementen, die selbst Menschen ohne Einschränkungen Probleme bereiten können. Dazu gehören zum Beispiel schlechte Kontraste, zu kleine Touch-Bedienflächen oder winzige Schriftgrößen.
Von Barrierefreiheit profitieren alle
Aber warum ist Barrierefreiheit so wichtig? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil sie die digitale Welt intuitiver und angenehmer macht und die Frustration beim Navigieren durch Websites verringert. In Summe profitieren alle davon: Für 10 Prozent der deutschen Bevölkerung, die mit einer Behinderung leben, ist Barrierefreiheit unverzichtbar, um am digitalen Leben teilzunehmen. Für mindestens 30 Prozent ist sie notwendig. Und für 100 Prozent ist sie hilfreich. Auch für Unternehmen zahlen sich die Bemühungen aus, denn Barrierefreiheit erweitert ihren potenziellen Kundenkreis.
Denn gerade Menschen mit Beeinträchtigung nutzen aufgrund ihrer oft eingeschränkten Mobilität Online-Shops im Durchschnitt häufiger als Menschen ohne Beeinträchtigung.1 Doch eine aktuelle Accessibility-Untersuchung, die Google in Zusammenarbeit mit Aktion Mensch, der Stiftung Pfennigparade und BITV-Consult veröffentlicht hat, zeigt: Trotz wachsender Sensibilität für das Thema und der bevorstehenden EU-Richtlinie stehen viele der größten Online-Shops in Deutschland noch vor Herausforderungen, wenn es darum geht, ihre Plattformen wirklich barrierefrei zu gestalten.2 In den folgenden Abschnitten wollen wir daher anhand konkreter Handlungsempfehlungen und mit Best-Practice-Beispielen erläutern, welche Schritte notwendig sind, um eine inklusive Online-Welt zu schaffen, von der wirklich alle profitieren können.
Überblick verschaffen
Um den eigenen Online-Shop barrierefrei zu gestalten, müssen sich Händlerinnen und Händler zunächst einen Überblick verschaffen, an welchen Stellen Anpassungen notwendig sind. Dafür gibt es eine Reihe praktischer Tools und Browser-Erweiterungen. Eines davon ist Google Lighthouse, das die sogenannten Accessibility Essentials einer Website wie Kontraste, Schriftgrößen, Labels, Touch-Flächen und Alt-Texte überprüft. Händlerinnen und Händler erhalten einen umfassenden Bericht, der auf Basis eines Scores von 0 bis 100 nicht nur die Barrierefreiheit bewertet, sondern die beanstandeten Punkte auch einzeln von „geringfügig“ bis „kritisch“ einstuft. Zusätzlich gibt das Tool basierend auf den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) konkrete Empfehlungen, wie sich die festgestellten Probleme beheben lassen.
Weitere hilfreiche Tools sind:
- Headingsmap: eine Browser-Erweiterung zur Analyse von Überschriften und Website-Strukturen, die Screenreader-Nutzer:innen hilft, sich auf der Website zurechtzufinden
- Wave: eine ebenfalls kostenlose Browser-Erweiterung von Webaim, die visuelles Feedback zur Zugänglichkeit der eigenen Webinhalte in Form von Symbolen und Indikatoren gibt und schnell überprüfen lässt, ob beispielsweise Alternativtexte für Bilder vorhanden und sinnvoll formuliert sind
- Google Talkback / Apple Voiceover: Diese Tools stellen sicher, dass die eigene Website auch für die Sprachausgabe geeignet ist
Tastaturbedienung prüfen
Der Schlüssel zur digitalen Barrierefreiheit und zum Einsatz unterstützender Technologien ist die Tastaturbedienbarkeit einer Website – und zwar ohne zeitliche Begrenzung für Tastenanschläge, um auch Menschen mit motorischen Einschränkungen oder langsameren Reaktionszeiten nicht auszuschließen. Elemente wie Links, Formularfelder und Schaltflächen sollten mit der Tabulatortaste leicht erreichbar und mit der Tastatur aktivierbar sein. Auch Elemente, die ihren Zustand ändern, wie Filter oder Mengenangaben, sollten problemlos mit der Tastatur gesteuert werden können.
In der Accessibility-Analyse von Google, Aktion Mensch, Stiftung Pfennigparade und BITV-Consult zeigten sich hier allerdings noch einige Baustellen. Von insgesamt 78 getesteten reichweitenstarken Online-Shops waren nur 17 wirklich per Tastatur bedienbar. Ein häufiges Problem war das Fehlen eines sichtbaren Tastaturfokus. Wenn sehbehinderte oder blinde Menschen aber nicht wissen, wo sich der Fokus ihrer Tastatur befindet, haben sie große Schwierigkeiten, sich auf der Website zurechtzufinden. Ein weiteres Hindernis waren unzureichende Kontraste zwischen Text und Hintergrund, die das Lesen erschweren und zu Anstrengung und Fehlern führen. Probleme bereiteten auch falsche Tab-Reihenfolgen und Elemente, die einfach nicht mit der Tastatur bedient werden konnten. Dies erschwert die Bedienung einer Website auch für Menschen ohne Einschränkungen beim Sehen. Und bei einigen Websites gab es auch Schwierigkeiten mit eingeblendeten Inhalten wie Bannern, die sich nicht schließen ließen, oder Cookie-Overlays, die den Zugriff auf den Hauptinhalt der Seite behinderten.
Die Testerinnen und Tester fanden aber auch positive Beispiele, von denen andere Online-Händlerinnen und -Händler lernen können. So bietet Ikea Nutzerinnen und Nutzern im Online-Shop an, die Navigation zu überspringen und direkt zum Hauptteil der Seite zu gelangen. Sie können so direkt zu den Produktdetails gelangen, ohne vorab durch Funktionen wie die Suche oder das Menü navigieren zu müssen.
Detlev Blenk, Equality, Diversity and Inclusion Manager bei Ikea, kümmert sich darum, Ikea jeden Tag inklusiver und besser zu machen, um möglichst vielen Menschen den Alltag zu erleichtern. „Bei Ikea ist es uns wichtig, dass jeder Mensch so sein darf, wie er ist, also unabhängig von Geschlecht, sexueller Identität, Hautfarbe, sozialer Herkunft, Nationalität und Möglichkeiten“, sagt er. Die Barrierefreiheit sei ein wichtiger Bestandteil der eigenen Diversity-and-Inclusion-Strategie und betreffe die Einrichtungshäuser und Büros genauso wie die digitalen Auftritte und Tools. Ganz nach dem Motto des Gründers Ingvar Kamprad: „Most things remain to be done.“
Checkliste für den Schnelltest in Sachen Barrierefreiheit
Mit der folgenden kurzen Checkliste können Online-Händlerinnen und -Händler relevante Anforderungen für einen barrierefreien Shop schnell selbst überprüfen:
- Ist meine Website gut lesbar? Hier geht’s zum Schnelltest für Schrift und Kontraste.
- Sind alle Links und Buttons für die mobile Nutzung optimiert? Hier geht’s zum Schnelltest für mobil optimierte Seiten.
- Haben alle Bilder aussagekräftige Alternativtexte?
- Sind meine Texte in verständlicher Sprache verfasst?
- Sind meine Formulare barrierefrei gestaltet?
Ein gutes Beispiel für barrierefreie Formulare findet sich unter anderem auf Lego.de. Der Spielzeugwarenhersteller gibt vor beziehungsweise in den Formularfeldern Beschriftungen an, die den Nutzerinnen und Nutzern verdeutlichen, was genau in die Felder einzutragen ist. Die Beschriftung ist zunächst im Formularfeld sichtbar und wird dann mit der Texteingabe der Nutzer:innen ersetzt. Die Beschriftung der Formularfeldes bleibt vor dem Feld selbst weiterhin sichtbar.
Prozesse schaffen und abteilungsübergreifend arbeiten
Um in Sachen Barrierefreiheit Maßstäbe zu setzen, ist es wichtig, das Thema nicht nur in der IT zu verankern. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – von Design und Entwicklung bis hin zu Inhaltserstellung, Rechtsabteilung und Marketing – sollten verstehen, warum digitale Barrierefreiheit wichtig ist, und ihren Teil dazu beitragen, dass sie umgesetzt wird. Um sicherzustellen, dass alle an einem Strang ziehen, bedarf es klarer Richtlinien, die das Engagement für digitale Barrierefreiheit unterstreichen und die konkreten Schritte auf dem Weg dorthin beschreiben.
Hilfreich ist auch, Menschen mit Behinderungen einzuladen, das eigene Digitalangebot zu testen. Dieses Feedback, sei es durch Nutzertests oder in Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen, ist für alle Unternehmen von unschätzbarem Wert, um sicherzustellen, dass eine Website wirklich barrierefrei ist.
Fazit: Digitale Inklusion beginnt jetzt
Eines ist sicher: Barrierefreiheit ist kein Thema, das sich von heute auf morgen erledigt. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der kontinuierlich begleitet und gepflegt werden muss. Je früher Unternehmen mit einem ersten Audit starten, desto besser. Denn noch eröffnet eine für alle leicht zu bedienende Website Wettbewerbsvorteile, ab 2025 ist Barrierefreitheit für alle ein Muss. Und wer schon heute bei neuen Digitalprojekten Barrierefreiheit von Anfang an mitdenkt, kann Aufwand und Kosten im Rahmen halten und einen wertvollen Beitrag zur Schaffung einer inklusiven digitalen Welt leisten.