Oh du fröhliche Weihnachtszeit? Das dritte Mal in Folge ist das Jahresende geprägt von vielen Herausforderungen für Marketer. Doch wie wirkt sich das auf die großen Feiertags-Kampagnen aus? Welche Trends sind erkennbar – und was können Marketingverantwortliche für ihre Strategie 2023 mitnehmen?
Genau das haben sich Liane Siebenhaar, CSO bei Accenture, und Stefan Michels, Director Customer Dialog & Engagement bei Aldi Nord, gemeinsam mit Alissa Rabe, Creative Strategist bei Creative Works, Google, angesehen. Siebenhaar und Michels sind beide Vorsitzende der Effie Jury. Der GWA, in dessen Vorstand Siebenhaar ebenfalls ist, verleiht die Effie Awards seit 1981 in Deutschland und würdigt damit jedes Jahr die effektivsten Werbemaßnahmen.
Trend 1 – Sparen, aber nicht verzichten
Marken entdecken 2022 das neue Preisbewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher. Subtil und charmant setzen sie auf Empowerment statt negative Gefühle. „Die Message von Marken lautet: Trotz schwieriger Zeiten müssen Konsumentinnen und Konsumenten nicht auf Qualität und Freude verzichten“, erklärt Liane Siebenhaar.
Im Weihnachtsspot von Aldi wandeln sich traurige Gesichter in Erstaunen, wenn ein Vater, eine Seniorin und ein alter Mann aus ihrer Tasche Köstlichkeiten auf den Tisch zaubern. Auch Otto setzt mit seiner Kampagne „Freude schenken kostet nicht viel“ den Fokus darauf, dass mit kostengünstigen Geschenken viele schöne Momente entstehen, die in Erinnerung bleiben.
Die Kampagnen eint eine Botschaft: Wir müssen sparen, besinnen uns aber auf Nächstenliebe, kleine Gesten und Zusammensein. „Während in den Jahren zuvor Preiskommunikation eher selten in den Kampagnen zu finden war, konzentriert sich gerade der Einzelhandel dieses Jahr verstärkt auf die Themen Preis und Sparen“, bestätigt Alissa Rabe, und Stefan Michels ergänzt: „Marken fokussieren sich nicht darauf, wie schlecht es uns geht. Sie zeigen stattdessen: Menschen zu überraschen kostet nicht viel.“
Damit treffen sie genau den Nerv der Konsumentinnen und Konsumenten: 34 % der für eine Studie Befragten suchen in diesem Jahr verstärkt nach Angeboten und Rabatten, und 35 % wollen mehr Preise vergleichen.1 Kaum verwunderlich, mehr als jeder Dritte plant in diesem Jahr, weniger Geld für Geschenke auszugeben.2 Vielleicht kommt es in diesem Jahr auch eher auf kleine, empathische Gesten an, wie Trend 2 zeigt.
Trend 2 – Empathie im Realismus
Nachdem Penny mit seinem letztjährigen Weihnachtsspot zum Corona-Lockdown den Gold-Effie gewann, wagt sich der Lebensmitteldiscounter dieses Jahr wieder an die großen Themen unserer Gesellschaft: Mit „Der Riss“ verwebt Penny Klimawandel, Krieg, Pandemie, wirtschaftliche Unsicherheit und gesellschaftliche Konflikte zu einem empathischen Video mit Hoffnungsschimmer am Ende. „Man versucht auch negative Facetten zu zeigen, wobei Gefühle eine große Rolle spielen. Es wird deutlich, dass die Pandemie Zeitgeist und Kommunikation stark verändert hat“, betont Liane Siebenhaar.
Dass Kreativität und Empathie die Aufmerksamkeitswirkung von Werbespots steigern und sie somit effektiver machen, belegt eine Ipsos-Studie.3 Genau das nutzt auch die Telekom und greift wie Penny ein ähnliches Thema auf: Gezeigt wird die Geschichte eines engagierten Lehrers, der seine Schülerinnen und Schüler sowie weitere Menschen in seinem Umfeld stets mit der Frage „Wie geht es dir?“ begrüßt – doch niemand denkt im stressigen Alltag auch an ihn. Die Botschaft des Videos: Seid empathischer und passt in schwierigen Zeiten auf euch und andere auf. Stefan Michels erklärt dazu: „Menschen erwarten, dass Themen klar angesprochen werden, auch wenn sie negativ besetzt sind. In den Spots zeigt sich, dass Marken verstehen, was Menschen empfinden.“
Trend 3 – Eskapismus in andere Welten
Fast als eine Gegenbewegung zu den Themen Sparen und Empathie lässt sich Trend 3 beschreiben. Dem Alltag entfliehen – so der Tenor dieser Kampagnen. Und die entscheidende Rolle dabei? Musik! McDonald’s beispielsweise lässt Superstar Shirin David mit der neuen Variante ihres Hits „Lieben wir“ für das Weihnachtsmonopoly werben und entführt dabei in die Weihnachtswinterwelt eines McDonald’s-Restaurants.
Eine andere musikalische Interpretation hat Lidl mit dem Song „Easy“ gefunden, der das Zeug zum Ohrwurm hat. Der coole Protagonist Mr. Easy – eine Hommage an den Film „The Big Lebowski“ – zeigt, dass Weihnachten kein Grund zur Hektik ist. Lidl setzt damit auf eine popkulturelle Mischung aus Musik und Film, die im Zusammenspiel funktioniert.
Auch der Schweizer Lebensmittelhändler Migros entführt in eine weihnachtliche Märchenwelt – die der Kinder. Sie erzählen die magische Geschichte vom Gespenst, das bei der Weihnachtsparty mitfeiern wollte, voller kindlicher Fantasie und Musik.
Musik ist Trigger, bewegt und untermalt auch ernste Themen. „Sie ist die treibende Kraft, um in andere Welten zu führen und zu emotionalisieren“, betont Liane Siebenhaar. Die Audience in Traumwelten zu entführen, bietet Werbetreibenden viel Potenzial – visuell wie musikalisch. Und das lohnt sich: 65 % der Menschen, die Videos oder Musik streamen, möchten nicht auf sie verzichten. 75 % bestätigen, dass Musik sie glücklich macht,4 und das ist ein wesentlicher Faktor, der diese Kampagnen so mitreißend und stark werden lässt. Alissa Rabe bringt es auf den Punkt: „YouTube ist das MTV unserer Zeit. Nutzerinnen und Nutzer kommen auf YouTube, um Popkultur und Zeitgeist zu erleben.“
Was können Marketer daraus für ihre Marketing-Planung mitnehmen?
Trends langfristig denken
„Die Trends, die wir jetzt gesehen haben, sind keine reinen Weihnachtstrends, sondern sie werden noch eine gewisse Zeit bleiben“, ist Stefan Michels überzeugt. „Warum sie also nicht in kleinen Häppchen das ganze Jahr über kommunizieren?“, fragt er. Er empfiehlt deshalb, lieber langfristige, holistische Marketingstrategien zu entwickeln. Dazu gehöre aber auch der Mut, Neues auszuprobieren. Ganz nach dem Motto: test and learn. „Dabei spielt YouTube als digitale Plattform eine wichtige Rolle, weil dort Neues schneller getestet und optimiert werden kann“, sagt Michels.
Denn nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten achten auf den Preis, auch Marketer müssen ihr Budget möglichst effizient einsetzen – im kommenden Jahr mehr denn je. Darin sind sich Alissa Rabe, Liane Siebenhaar und Stefan Michels einig: In schwierigen Zeiten sei Effizienz gefragt, und das gelte auch für die Wahl der Werbeplattform. In einer MMM-Meta-Analyse mit Nielsen zeigte sich beispielsweise, dass Werbung auf YouTube 3,9-mal mehr Umsatz pro Werbekontakt erzielt als Werbung im TV5 und der ROI 1,7-mal höher ist6.
Mit dem richtigen Format die Zielgruppe ansprechen
Die Werbespots spiegeln aber auch wider, welche Rolle die Videodauer spielt. Mit vier Minuten ist das von Penny gewählte Video-Format ungewöhnlich lang, begeistert aber trotzdem. Eine Studie sieht den Sweet Spot von Video-Ads dagegen zwischen 60 und 180 Sekunden.7
Viele Marken nutzen diese Erkenntnis und experimentieren erfolgreich mit Längen – sie denken eher in Systemen als in Videominuten. Otto zeigt zum Beispiel, wie unterschiedlich lange Videos – in 6, 15, 45 Sekunden und der Longversion von 1:21 Minuten – auch strategisch für die Kampagnenkreation und -umsetzung funktionieren. So spricht der Online-Händler verschiedene Zielgruppen mit wechselnden Protagonistinnen und Protagonisten effizient und zielgruppengerecht an. Das in jedem Spot gleiche Musikthema unterstützt den Wiedererkennungswert und verbindet die Spots zu einer Kampagne mit einer klaren Aussage. Auch Edeka setzt auf eine Short- und eine Long-Version. Es zeigt sich, dass Marken bei der Kreation von Videos gerne experimentieren: „Neue Formate tauchten fast in jeder Kreation auf. Ich denke, dass nach Weihnachten Shorts für Kampagnen eine große Rolle spielen werden“, ergänzt Stefan Michels.
Nachhaltigkeit nachhaltig kommunizieren
Verwunderlich ist: Umweltbewusstes Handeln spielt in den Weihnachtsspots 2022 kaum eine Rolle. Alissa Rabe vermutet: „Als drängendes Thema unserer Zeit ist Nachhaltigkeit oft negativ besetzt und Marken wagen sich thematisch noch zu selten daran, obwohl Konsumentinnen und Konsumenten nachhaltigen Konsum leben.“ Das zeigen auch die Daten: 25 % achten bei der Wahl von Händlern und Produkten auf Umweltschutz.8 „Nachhaltigkeit ist eine große Chance, sich als Marke zielgruppengerecht zu positionieren“, sagt sie. Daran anschließend macht Liane Siebenhaar auf Folgendes aufmerksam: „Marken sollten aber kein Greenwashing betreiben und glaubwürdig bleiben. Stattdessen sollten sie versuchen, den Zeitgeist zu verstehen und möglichst eng zu tracken.“ So können Marken auf Veränderungen beim Konsumentenverhalten schneller reagieren.
Dank der Weihnachtskampagnen als kreative Spotlights des Jahres lassen sich für Markenverantwortliche und Werbetreibende deutliche Trends erkennen, die Kommunikation effizienter machen können – und zwar über das gesamte Jahr hinweg. Fest steht: Empathie und Haltung sind gefragt, ebenso Experimentierfreudigkeit mit neuen Formaten und Längen. Und der Fokus sollte auf den Nutzerinnen und Nutzern liegen, denn so können Marken Zeitgeist und gesellschaftliche Themen als authentisch besetzen.