Beim vorletzten Lightning Talk auf der YouTube-Strandbühne in Cannes haben sich Werbefachleute, Technologieexperten und Strategen in einer Diskussionsrunde damit beschäftigt, wie angesichts der Informationsfülle und ständigen Reizüberflutung in der heutigen Zeit einprägsame Werbung produziert werden kann.
Ein wichtiges Thema beim Cannes Lions 2016 ist, dass Agenturen immer stärker unter Innovationsdruck stehen. Zum Gesprächsbeginn fragte Diskussionsleiter Eric Tsytsylin, Director bei WPP, die Teilnehmer, woher dieser Druck ihrer Meinung nach kommt.
Für Richard M. Guest, President North America bei Tribal Worldwide, ist Innovation ein schwammiger Begriff, der für die verschiedenen Bereiche der Werbebranche ganz unterschiedlich verwendet wird. Einig sind sich jedoch alle darin, dass Innovation wünschenswert ist und dass Produkte und Unternehmen durch Innovation grundsätzlich attraktiver für Nutzer und für potenzielle Mitarbeiter werden. Angesichts der unzähligen Agenturen, Produktionsstudios und Technologiepartner auf dem Markt gilt Innovationsfähigkeit als Hauptunterscheidungsmerkmal.
Aus dem Blickwinkel des Technologieexperten sieht Emad Tahtouh, Director Applied Technology bei Finch, einen Wandel in der Branche: von der Schocktaktik der letzten Jahrzehnte zu Methoden und Storytelling-Konzepten, die auf Überraschung und Begeisterung des Nutzers abzielen. Der Technologiesektor ist derzeit viel gepriesen und irgendwie möchte jeder dazugehören. Die Zielgruppen sind gierig nach Erlebnissen, denen etwas Magisches anhaftet.
"We’re in this golden age where everything that’s coming out has a magical glow around it… the public is hungry for it, they want to be amazed and they want to be wowed."
- Emad Tahtouh, Director of Applied Technology, Finch
Innovation ist nicht einfach und viele Agenturen können keinen umfassenden Service bieten, der komplexe technische Konstrukte umfasst. In Zusammenhang damit bestätigte Richard M. Guest, dass es unabdingbar ist, zusätzliche Disziplinen und Fachgebiete inhouse unterzubringen. Gleichzeitig betonte er, dass dies ein langer Prozess ist, der von Agenturen eine grundlegende Änderung der Denkweise beim Sprung von der Idee zur Ausführung verlangt.
Die Diskussionsteilnehmer waren sich darüber einig, dass die Werbebranche ein breiteres Kompetenzspektrum braucht. Justin Graham, Chief Strategy Officer bei M&C Saatchi Australasia, wies darauf hin, dass – außer bei ausgesprochen zukunftsorientierten Unternehmen – im Bereich des Produktmanagements vermutlich allgemein eine Kompetenzlücke besteht. Er hob hervor, dass Innovation für Werbeagenturen kein Selbstzweck sein sollte. Stattdessen sollten sie Werbetreibenden helfen, echte Probleme zu lösen. Als Beispiel führte er die vielfach ausgezeichnete Kampagne Clever Buoy des letzten Jahres an. Bei der Arbeit an diesem Projekt, die sich über mehrere Jahre erstreckte, war Input von Aufsichtsbehörden und staatlichen Stellen sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen der M&C Saatchi Australia und deren Kunden Optus erforderlich. Das ist das langfristige Engagement, das notwendig ist, um innovative Arbeit zum Erfolg zu bringen.
Bei der Diskussion wurden viele Bereiche behandelt, in denen bei Werbeagenturen Entwicklungsbedarf besteht. Zum Ende hin sprach Eric Tsytsylin jedoch noch einen weiteren entscheidenden Faktor an: den Kunden. Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass mehr Offenheit und Aufgeschlossenheit seitens der Kunden erforderlich ist – nicht nur in Zusammenhang mit Vorgaben, sondern auch im Hinblick auf geistiges Eigentum und Abrechnungsmodelle. Emad Tahtouh zeigte sich insbesondere beim Thema "geistiges Eigentum" nicht kompromissbereit: Er betonte nachdrücklich, dass Werbeagenturen und Produktionsstudios ihre Rechte am geistigen Eigentum behalten müssen. Sonst haben sie nicht die Möglichkeit, aus früheren Projekten zu lernen und darauf aufzubauen.
Anschließend wurden die Diskussionsteilnehmer gebeten, zu erläutern, wie sie ihren Erfolg als Innovatoren messen – insbesondere wenn die Offenheit für Fehler eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Innovationen ist. Justin Graham nannte einen einfachen Messwert: Wer in seiner Entwicklung nicht mit dem Nutzer Schritt hält, hat vermutlich keinen Erfolg. Die übrigen Teilnehmer stimmten dem zu. Außerdem wiesen sie auf den Nutzen interner Labs hin, die die Freiheit haben, Prototypen zu entwickeln und Fehler zu machen, und deren Erkenntnisse dann dem gesamten Unternehmen mitgeteilt werden. Die Fähigkeit, vielversprechende Bewerber anzuziehen, wurde ebenfalls als sinnvoller Indikator genannt. Emad Tahtouh beurteilt den Erfolg der Arbeit von Finch auch an der Anzahl der Blindbewerbungen talentierter Kandidaten.
Am Ende fragte jemand aus dem Publikum, wie man erkennt, ob eine Idee gut ist, wenn man noch daran arbeitet. An verschiedenen mehr oder weniger guten Beispielen wurde deutlich: Wer innovativ sein und gute Arbeit leisten möchte, muss mit der Frage "Warum?" beginnen, z. B. "Warum ist dies das richtige Konzept für den Nutzer?", "Warum ist es interessant?", "Warum ist es von Wert?"