Fast jeder kennt L'Oréal. Kein Wunder, denn das Unternehmen kann auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken. In meiner Rolle als Vice President bei YouTube und Video Global Solutions bei Google sehe ich tagtäglich innovative Ideen, die nicht unbedingt von alteingesessenen Unternehmen kommen. L'Oréal kann man allerdings zurecht zu den innovativsten und zukunftsweisendsten Unternehmen im Bereich Schönheitspflege zählen. Ihr Marketingansatz ist da keine Ausnahme.
Inspiriert vom Geist der Kreativität und Innovation in Cannes, haben Lubomira Rochet, Global Chief Digital Officer bei L'Oréal und ich uns zu einem Gespräch zusammengesetzt. Dabei erzählte sie mir, was es heißt, Teil eines Unternehmens zu sein, in dem die Digital-First-Strategie gelebt wird. Außerdem verriet sie mir, welche Ideen sie vorantreibt, um für die nächste Phase des digitalen Marketings gewappnet zu sein.
Debbie Weinstein, YouTube: Vor Kurzem haben Sie die Digital-First-Strategie in Gang gesetzt. Warum?
Lubomira Rochet, L'Oréal: Digitalisierung bringt frischen Wind in unsere Industrie und positive Veränderungen mit sich. Die Zukunft der Schönheit ist digital. Es gibt dadurch so viele neue Möglichkeiten, von denen niemand zuvor zu träumen wagte.
"Saisir ce qui commence" heißt, von Anfang an dabei zu sein und Trends frühzeitig zu erkennen. Das war schon immer einer der Leitsätze bei L'Oréal. Auch wenn wir als Unternehmen schon mehr als einhundert Jahre alt sind, sind wir allzeit bereit und sogar begierig darauf, uns ständig zu verändern. 2010 hat L'Oréal seine Weichen auf "digital" gestellt. Seitdem sind wir in Richtung Transformation unterwegs.
Wir haben 2.000 Spezialisten für Digitales eingestellt, mehr als 21.000 Mitarbeiter geschult und leben datengetriebenes Präzisionsmarketing geradezu. Nur um das zu verdeutlichen: 2017 entfielen 38 % der gesamten Media-Ausgaben auf digitale Werbung. Als ich 2014 anfing, war es nur die Hälfte.
"Saisir ce qui commence" heißt, von Anfang an dabei zu sein und Trends frühzeitig zu erkennen. Das war schon immer einer der Leitsätze bei L'Oréal.
Diese Investition hat sich bezahlt gemacht: Mehr als eine Milliarde Menschen besucht die Websites und Social Media-Auftritte von L'Oréal jedes Jahr. Die Onlineverkäufe sind schon im ersten Quartal 2018 um 34 % gestiegen. E-Commerce macht einen beträchtlichen Anteil des Umsatzes aus und fördert unser Wachtum enorm.
Sie haben auch mehr in Anzeigen auf YouTube investiert. Wie hat sich das auf den Gewinn des Unternehmens ausgewirkt?
Natürlich wollen wir eine Gewinnsteigerung sehen. Wir haben selbst ein Tool entwickelt, mit dem wir in jedem Land die Leistung unserer Kampagnen in Echtzeit beobachten. Dadurch sind wir in der Lage, unser Budget gezielt dort einzusetzen, wo es sich lohnt. So wissen wir, dass die Investition auch Früchte trägt – ob auf YouTube oder anderen Kanälen. Deshalb haben wir unsere Ausgaben auf YouTube in den letzten Jahren signifikant erhöht.
Wir sind ein weltweit agierender Konzern. Die globale Reichweite von YouTube hat daher besonders positive Auswirkungen. Außerdem ist YouTube auch die perfekte Plattform, um mit Menschen in Kontakt zu treten. Teilweise verbringen Menschen mehr Zeit auf unseren YouTube-Kanälen als auf all unseren anderen Plattformen.
Wie hat sich L'Oréal in der digitalen Medienlandschaft positioniert?
Werbung für das Fernsehen zu machen, war ziemlich einfach im Vergleich zu der heutigen medialen Landschaft. Man hatte 30 Sekunden Zeit und das war's. Heutzutage produzieren wir zum einen 50-mal mehr Inhalte. Zum anderen sind diese Inhalte nicht voneinander losgelöst, sondern bilden ein Ganzes und müssen verschiedene Menschen in verschiedenen Situationen ansprechen.
Die Spielregeln werden sich einfach ändern, sobald man nur noch seinen Sprachassistenten fragen muss, um den besten Mascara auf dem Markt zu bekommen.
Kürzer ist besser. Das haben wir bei L'Oréal festgestellt. Unsere Verkaufspräsentationen dauern mittlerweile zwei Sekunden. Videoanzeigen ab sechs Sekunden bezeichnen wir als lang. Sequenzen sind deshalb sehr wichtig. Anstatt eines 30-Sekunden-Videos bieten wir den Nutzern eine Reihe von kurzen Botschaften durch Sequenzierung, Remarketing oder Rotation. Jeder dieser Videoanzeigenblöcke ist kurz und produktorientiert.
Was steht bei L'Oréal in punkto "Digitales Marketing" als nächstes auf dem Plan? Wohin geht die Entwicklung?
Ich bin überzeugt, dass wir auf der Schwelle zu einer neuen Phase im digitalen Marketing stehen.
Deshalb haben wir bei L'Oréal einige Initiativen ins Leben gerufen, mit denen wir als Vorreiter fungieren wollen. Ein Meilenstein auf dem Weg dorthin war die Übernahme von Modiface, einem Unternehmen für AR-Technologie im Beauty-Bereich.
Sprachsuche, KI, AR und VR gehören zu den neuen Technologien, die die Art und Weise verändern, wie Nutzer neue Produkte entdecken, ausprobieren, erleben und letztlich auch kaufen. Die Spielregeln werden sich einfach ändern, sobald man nur noch seinen Sprachassistenten fragen muss, um den besten Mascara auf dem Markt zu bekommen. Oder wenn der Spiegel zum persönlichen Schönheitsberater wird. Oder wenn man ein Anleitungsvideo nicht nur ansehen kann, sondern das Make-up direkt auf seinem eigenen Gesicht projiziert sieht. Marken, die das schaffen, werden die Gewinner sein.