Im Gespräch zwischen der ehemaligen BILD-Chefredakteurin Tanit Koch und Philipp Schindler auf der diesjährigen DMEXCO redete Googles Chief Business Officer über den nächsten großen Shift von Mobile zu assistiven Produkten und Services, der Wirtschaftsstandort Deutschland im Zeichen der Digitalisierung, die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit Publishern und wie Google gegen Bad Ads vorgeht. Die wichtigsten Auszüge haben wir für Sie zusammengefasst.
Tanit Koch: Das Europäische Parlament hat für eine Reform des Urheberrechts gestimmt. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Philipp Schindler: Es ist ein enttäuschendes Ergebnis. Es ist schlecht für Kreative, für Unternehmen und Innovatoren. Ich denke nicht, dass es eine gute Entscheidung für Europa und seine Menschen ist.
Koch: Ist Europa besser bei Regulierung als bei Innovation?
Schindler: Es gibt keinen Zweifel darüber, dass Europa bestimmte Bereiche reguliert. Allerdings bin ich der Meinung, dass es ein großes Potential dafür gibt, in Europa zu investieren. Man muss sich vor Augen führen, dass es zwei große Konkurrenz-Märkte gibt, für die Menschen sehr innovative Produkte und Services bauen können ‒ ob Sie sich den US-Markt mit Hunderttausenden Nutzern oder den asiatischen Markt, insbesondere China, anschauen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Europa in einen Ort verwandeln, an dem wir mit diesen großen Märkten konkurrieren können. Ich bin großer Fan eines digitalen Binnenmarktes in Europa. Wir müssen stark in die Breitbandinfrastruktur investieren ‒ vor allem hier in Deutschland. Es gibt vieles, was wir tun können und müssen, wenn wir uns den Bereich Digital Skills ansehen. Hier unterstützen wir von Google bereits auf vielfältige Art und Weise, so beispielsweise mit unserer Initiative Zukunftwerkstatt.
Koch: Wie macht Google Geschäfte in diesem politischen Umfeld?
Schindler: Wir konzentrieren uns voll und ganz auf den Konsumenten, für die wir großartige Produkte bauen. Es ist allgemein bekannt, dass wir keine politische Richtung vertreten. Wir fokussieren uns auf den Nutzer und versuchen, das Richtige zu tun und Innovationen voranzutreiben. Darin sind wir gut.
Koch: Europa bestraft das Silicon Valley, in dem es US-Unternehmen Strafen aufbrummt. Wie viel Wahrheit steckt in dieser Aussage?
Schindler: Ich bin nicht in der Position, beurteilen zu können, ob solche Spekulationen wahr oder falsch sind. Für uns steht die Entwicklung großartiger Produkte im Mittelpunkt, die gleichzeitig die Privatsphäre unserer Nutzer respektiert.
Koch: Es gibt Bedenken zu den Themen Datennutzung, Fake News und Werbevideos, die in Umfeldern von Extremistenvideos auf YouTube ausgespielt werden. Wie gewinnen Sie das Vertrauen der Unternehmen und Käufer zurück?
Schindler: Die Zukunft eines gesunden Werbe-Ökosystems ist uns sehr wichtig, genauso wie den Anwesenden hier in der Congress Stage. Die Komponenten eines gesunden Werbe-Ökosystems müssen transparent, vertrauenswürdig und wertvoll sein. Was bedeutet das konkret? Wir müssen sicherstellen, dass Nutzer jederzeit wissen, welche Daten wir über sie besitzen und dass sie die Kontrolle über diese haben. Sie müssen selbst bestimmen können, ob sie mit gewissen Nutzungen der Daten nicht einverstanden und Daten löschen möchten. Eine weitere Sache, die wir auf Nutzerseite machen müssen: Bad Ads eliminieren. Letztes Jahr allein haben wir 3,2 Milliarden Bad Ads gelöscht. Das sind 100 Bad Ads pro Sekunde.
Für Werbetreibende ist das Wichtigste der Return on Investment (ROI). Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass es kein besseres Produkt gibt als Google Search Produkte. Werbetreibende möchten zurecht, dass ihre Werbeanzeige in einem Umfeld ausgespielt wird, der zu ihrer Marke passt. Um dem weiter gerecht zu werden, haben wir stark in Technologien und Personal investiert. Weiter ist Werbetreibenden Messbarkeit sehr wichtig, das höre ich immer wieder. Wir unterstützen unsere Partner an vielen Stellen, um ihnen die Daten zu liefern, die sie tatsächlich benötigen.
Wir arbeiten eng mit vielen Publishern zusammen. Im vergangen Jahren haben wir weltweit über 12,6 Milliarden US-Dollars an unsere Publishing Partner ausgezahlt, wir leiten jeden Monat 10 Milliarden Klicks auf Webseiten von Publishern weiter und haben Revenue-Share-Modelle mit ihnen.
Ehemalige BILD-Cheferedakteurin Tanit Koch und Philipp Schindler, Chief Business Officer bei Google, im Gespräch.
Koch: Je nachdem, welchen Publisher man fragt, bewerten sie die Zusammenarbeit mit Google als positiv oder als Bestechung durch Google.
Schindler: Nein, ich stimme dem absolut nicht zu. Und das hat einen sehr simplen, ökonomischen Grund: Die meisten Verträgen mit unseren Publishern basieren auf einem simples Revenue-Share-Modell. Wenn wir unser Business vergrößern möchten, haben wir offensichtlich ein Interesse daran, dass unsere Publishing Partner wachsen. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass wir natürlich den Wert von Qualitätsjournalismus für Demokratie sehen und verstehen, wie wichtig das für unserer Nutzer ist. Sie müssen all diesen Argumenten keinen Glauben schenken. Aber rein rational aus einer wirtschaftlichen Sichtweise: Wir müssen unseren Publishing Partnern dabei helfen, erfolgreich zu sein ‒ denn sind sie es, ist Google es auch.
Koch: Ein Dilemma, das Nutzer haben: Möchte ich meine Daten Google zu Verfügung stellen, damit mir relevante Suchergebnisse inklusive Werbeanzeigen angezeigt werden oder nicht?
Schindler: Wir nutzen Daten lediglich, um unsere Dienste und Produkte für unsere Nutzer besser zu machen. Was Sie zurückbekommen, ist nicht nur Bequemlichkeit, sondern wirklich viele gute, kostenlose Services wie die Google-Suche, YouTube, Gmail, Chrome oder Android. Wenn Nutzer sich trotzdem unwohl fühlen mit der Menge oder die Art der Daten, die sie mit uns teilen, können sie ein Feature nutzen, das im letzten Jahr bereits über 2 Milliarden Mal genutzt wurde. Über Google-Konto können sie alle Daten einsehen und entscheiden, welche Daten gelöscht werden oder welche Daten nicht mehr erhoben werden sollen.
Koch: Können Sie uns mitteilen, was wir in der Zukunft erwarten können?
Schindler: Wenn Sie sich Computing im Allgemeinen ansehen, würde ich sagen, dass jedes Jahrzehnt eine massive Veränderung durchläuft. Wir haben die Verschiebung vom Desktop ‒ manche nennen es eine Revolution ‒ zum Web, zur mobilen Entwicklung gesehen. Für viele ist klar, dass der nächste große Wandel maschinelles Lernen oder die künstliche Intelligenz sein wird. Wir werden wesentlich mehr assistive Features sehen und ein viel natürlicheres Interagieren mit Computern über mehrere verschiedene Oberflächen hinweg. Das hat Konsequenzen für alle hier in diesem Raum: Je kleiner Ihre Oberfläche ist ‒ vom Desktop über das Handy bis zur Assistenz, die noch persönlicher und in diesem Sinne intelligenter oder für Sie relevant ist ‒, desto relevanter müssen die Ergebnisse sein. Das bedeutet, dass die Messlatte für die Qualität der Inhalte, die Sie zeigen, und für die Qualität der Werbung, die Sie zeigen wollen, höher gelegt werden müssen.
Koch: Das klingt faszinierend. Wird Europa es jemals auf das gleiche technologische Level wie USA oder China schaffen?
Schindler: Ich bin sehr optimistisch, dass wir in Deutschland oder Europa Innovation vorantreiben können.