Im Rahmen des APG Speaker Snacks am 2. März mit Les Binet im Hamburger Google Büro spricht der Marketingexperte im Interview über die wichtigsten Erkenntnisse aus seinen Studien. Darin diskutiert er unter anderem die steigende Bedeutung von Online-Videos, die Frage nach dem passenden Budget sowie die Veränderungen in der Medienlandschaft, denen Online-Marketing selbstbewusst begegnen muss.
think with Google: Sie haben 2016 gemeinsam mit Peter Field den ersten Teil der Studie “Media in the Digital Age” veröffentlicht. Was macht die Arbeit mit der IPA-Datenbank weiterhin so attraktiv?
Les Binet: Die IPA-Datenbank ist eine fantastische Ressource – wir können uns sehr glücklich schätzen, auf so viele Daten über die Effektivität von Werbung zurückgreifen zu können. Ich kenne keine andere Datenquelle, die sich so detailliert mit der Wirkung von Werbung auseinandersetzt. Uns liegen Daten zu über 1.000 Werbekampagnen sowie zu Hunderten von Marken und Kategorien vor. Teilweise umfassen diese so vertrauliche Details wie Angaben zur Mediennutzung und zur Kommunikationsstrategie. Ich kenne keine Datenquelle, die sich damit vergleichen lässt. Peter und ich analysieren diese Daten nun seit über zehn Jahren und stoßen dabei immer wieder auf neue interessante Dinge.
Da die IPA diese Daten bereits seit so langer Zeit sammelt, können wir nun auch untersuchen, wie sich die Regeln im Laufe der Zeit verändert haben. Dies bildet den Schwerpunkt unserer Studie. Anhand der IPA-Daten wollen wir herausfinden, auf welche Weise sich die digitale Revolution auf die “Best Practices” ausgewirkt hat. Was funktioniert in dieser wunderbaren neuen Welt von Smartphone, Online-Video und Social Media? Das ist die Nuss, die wir derzeit zu knacken versuchen.
Worin bestehen Ihren Untersuchungen zufolge die wichtigsten bzw. offensichtlichsten Veränderungen im Online-Marketing seit dieser Zeit?
Als Peter und ich 2007 unsere erste Studie veröffentlichten, war der Bereich Online-Marketing bereits ziemlich gut aufgestellt. Die Marketingexperten setzten das Internet zu diesem Zeitpunkt ja bereits auch schon über zehn Jahre als Verkaufsinstrument ein – viele Dinge, die wir heute als selbstverständlich erachten, waren damals allerdings gerade erst dabei, sich richtig zu entwickeln. YouTube und Facebook waren zu dieser Zeit noch etwas sehr Neues und auch das iPhone stand noch kurz vor der Einführung. Die Dinge haben sich also massiv verändert, seitdem wir unser Buch “Marketing in the Era of Accountability” geschrieben haben. Die sozialen Medien haben sich von einem Nischen- zu einem Mainstream-Kanal entwickelt, Videos sind mittlerweile allgegenwärtig und mit dem Smartphone hat heutzutage fast jeder das Internet direkt in der Tasche. Die Internetnutzung hat sich seitdem vervierfacht und zumindest hier in der entwickelten Welt durchdringt das Internet inzwischen nahezu alle Lebensbereiche. Aus diesem Grund ist es nur natürlich, dass auch Online-Marketing an Bedeutung und Effektivität zugenommen hat. Und dies bedingt in einem gewissen Maß eine Veränderung der Regeln.
Online-Video-Marketing ist heutzutage wichtiger Bestandteil nahezu jeder Marketingstrategie. Was haben Ihre jüngsten Untersuchungen im Hinblick auf die Effektivität von Online-Videos und das Verhältnis dieses Mediums zur TV-Werbung ergeben?
Wenn es ein Thema gibt, auf das wir im Rahmen unserer Untersuchungen immer wieder zurückkommen, dann ist das wohl die wichtige Rolle von Videos. Für den Markenaufbau sind Videos von enormer Bedeutung, und zwar aus zwei Gründen: Erstens besitzen Videos eine größere emotionale Kraft als andere Medien. Die Kombination aus bewegten Bildern und Ton, ganz besonders Musik, hat einen enormen Einfluss auf unsere Emotionen. Und wie wir immer wieder betonen, ist Emotion der Schlüssel zum Aufbau starker Marken. Wenn Sie wollen, dass die Verbraucher immer wieder zu Ihrer Marke zurückkehren und diese – idealerweise zu Premium-Preisen – kaufen, müssen Sie dafür sorgen, dass Ihre Marke Emotionen weckt. Videos sind das ideale Medium für diese Art von emotionalem Storytelling. Wir waren also nicht überrascht, als sich im Rahmen unserer Studie herausstellte, dass der Einsatz von Online-Videos effektiver ist als andere Formen von Online-Marketing.
Der zweite wichtige Aspekt besteht darin, dass Videos Inhalte skalierbar machen. Wenn Sie einmal zusammenrechnen, wie viele Minuten und Stunden Menschen damit verbringen, sich Videos aller Art anzuschauen, werden Sie herausfinden, dass dies inzwischen zu ihren wichtigsten Freizeitbeschäftigungen gehört. Bei uns in Großbritannien schauen sich Nutzer im Durchschnitt vier Stunden täglich Videos an. Natürlich machen TV-Clips dabei immer noch den Löwenanteil aus, und Fernseh-Spots bilden auch nach wie vor einen zentralen Bestandteil des Medienmixes. Allerdings können Sie mit Online-Videos die Reichweite und Nutzungsdauer Ihrer Inhalte noch erhöhen, besonders dann, wenn Sie ein junges Publikum erreichen wollen.
In der Tat haben wir herausgefunden, dass eine natürliche Synergie zwischen TV- und Online-Videos besteht und sich die Werbeeffektivität im Zusammenspiel der beiden Medien verstärkt. Ein großartiges Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Arbeit von John Lewis. Die Weihnachtskampagne von John Lewis erzielte über die Ausstrahlung im Fernsehen eine enorme Reichweite und Bekanntheit. Gleichzeitig wurde der Werbespot jedoch auch online angeschaut und brachte dem Unternehmen damit gratis mehrere Millionen von Views ein. Immer öfter wurden Werbespots schon vor der offiziellen TV-Ausstrahlung online gesucht – und geteilt. Das hat dazu geführt, dass sich jedes Jahr noch schneller Begeisterung für die Weihnachtskampagne eingestellt hat und sich noch früher in den Verkaufszahlen zeigte. Dies wäre mit TV-Werbung oder einem Online-Video allein nicht möglich gewesen. Erst die Kombination der beiden Medien machte diesen durchschlagenden Erfolg möglich.
Wie wichtig ist die Größe des Marketingetats in einer Welt von Paid, Owned und Earned Media?
Viele Leute scheinen der Ansicht zu sein, dass Budget heutzutage keine große Rolle mehr spielt. In einer Welt, in der von Marketingexperten erwartet wird, sie sollen “mehr für weniger erreichen”, erscheint der Einsatz von Werbegeldern fast wie Trickserei. Für mich ist dies jedoch eine gefährlich falsche Sicht auf die Dinge. Früher ist man davon ausgegangen, dass es ausreicht, auf virales Marketing zu setzen – einige besondere Inhalte zu gestalten, die sich dann organisch verbreiten. Ich sage bewusst “früher”, denn ich bin der Ansicht, dass sich dieses Denken gerade ändert. Die Werbebranche beginnt zu realisieren, dass die meisten viralen Kampagnen schlichtweg floppen. Und in der Tat sind die Chancen, mit einer viralen Kampagne Erfolg zu haben, sehr sehr gering. Zudem belegen unsere Daten, dass die wenigen Kampagnen, die wirklich erfolgreich sind, deshalb funktionieren, weil dahinter beachtliche Marketingbudgets stecken. Earned Media scheint also, wie Sie sehen, eine Folge von Paid Media zu sein.
Tatsächlich haben wir herausgefunden, dass das Budget, und besonders der Share of Voice, heute sogar noch wichtiger sind als zuvor. Das mag einige Leute überraschen, wir jedoch glauben, dies ist eine Folge dessen, wie Online-Kanäle die Effektivität der Massenmedien verstärken. Eine erfolgreiche Werbekampagne scheint heute eine viel größere Wirkung zu haben als früher. Die sozialen Medien sorgen dafür, dass Werbebotschaften weitflächiger und schneller verbreitet werden können und z. B. Suchmaschinen sorgen dafür, dass die Markenaktivität noch effizienter in Verkaufszahlen umgewandelt wird. So bekommt man also noch mehr für jeden investierten Werbe-Dollar – das Budget spielt heute also eine größere Rolle als früher.
Welche Erkenntnisse aus Ihrer jüngsten Untersuchung haben Sie am meisten überrascht?
Ich denke, wir wurden tendenziell mehr bestätigt als überrascht. Die Veränderungen in der Medienlandschaft sind in mancher Hinsicht sehr aufschlussreich. Wir alle wissen zwar, dass es diese Veränderungen gibt, aber wenn man dann noch die Zahlen dazu sieht – betrachtet man allein schon die enorme Zeit, die Menschen heutzutage online verbringen! Und in mancherlei Hinsicht sind sogar die Dinge, die sich nicht verändert haben, die größten Überraschungen. Zum Beispiel haben wir eine Regel für die Budgetverteilung erstellt: 60 % Markenaufbau, 40 % Markenaktivierung. Trotz all der Veränderungen, die wir beobachtet haben, scheint sich an dieser Regel in 20 Jahren nicht viel geändert zu haben.
Die Medienlandschaft befindet sich im ständigen Wandel. Was bedeutet dies für die Regeln der Effektivität?
Wie ich bereits sagte, scheinen viele Regeln unverändert zu gelten. Unternehmen müssen für eine ausgeglichene Investition in den Markenaufbau und die Markenaktivierung (60:40) sorgen, wobei es beim Markenaufbau auch weiterhin in erster Linie um Reichweite, Emotion und Bekanntheitsgrad geht. Dabei spielen das Budget und der Share of Voice noch immer eine große Rolle. Was sich verändert hat, ist der Medienmix, der hierfür eingesetzt werden muss. TV-Spots spielen für große Marken in Massenmärkten noch immer eine zentrale Rolle und Online-Video-Marketing kann die Wirkung des Mediums Fernsehen noch weiter verstärken. Und die Online-Aktivierung, besonders durch Suchmaschinenmarketing, ist der beste Weg, heutzutage “voll durchzustarten“.
In einem Interview haben Sie erwähnt, dass der Fokus zu oft auf kurzfristige Kennzahlen und Marketing-KPIs gelegt wird. Können Sie erläutern, warum Werbetreibende sowohl die lang- als auch die kurzfristigen Effekte von Werbung berücksichtigen sollten?
Das Wichtigste, was es zu verstehen gilt, ist, dass zwischen kurz- und langfristig ergebnisorientiertem Marketing eine Spannung besteht. Ich bin mir nicht sicher, dass alle Marketingexperten – besonders im Online-Bereich – das verstehen. Ich denke, einige gehen davon aus, dass genug kurzfristige hintereinander generierte Ergebnisse, zu einem großen, langfristigen Erfolg führen. Nun, tatsächlich verhält sich dies keineswegs so. Viele der Werbemechanismen, die kurzfristig funktionieren, wie Aktionspreise zum Beispiel, schaden dem Unternehmen sogar langfristig. Und viele der Dinge, die den langfristigen Erfolg fördern, scheinen kurzfristig nicht die benötigten Ergebnisse zu erzielen.
Die richtige Balance zwischen kurz- und langfristigen Strategien zu finden, ist keine einfache Aufgabe. Unternehmen, die ihren Fokus allein auf unmittelbare, kurzfristige Kennzahlen legen, realisieren am Ende nur kurzfristige Maßnahmen – Promotions und so weiter – und stellen dann irgendwann fest, dass sich ihre Basisumsätze allmählich verschlechtern und sich die Gewinnspannen ebenfalls verringern. Unternehmen, die nur auf den langfristigen Markenaufbau setzen, werden das Umsatzpotenzial ihrer Marken nie voll ausschöpfen und am Ende vielleicht von Wettbewerbern übernommen. Es kommt also auf die richtige Balance an. Es gilt, kurz- und langfristige Kennzahlen, Strategien sowie Medien auszubalancieren.
Worin bestanden im untersuchten Zeitraum Ihrer Ansicht nach die größten Missverständnisse und Fallstricke für Marken im Online-Marketing?
Meine größte Sorge bezüglich des Online-Marketings betrifft wohl die bereits erwähnte Konzentration auf die kurzfristigen Ergebnisse. Die Online-Welt verändert sich rasant – das liegt in ihrer Natur – und ist sehr verliebt in das “Jetzt“. Das lässt sich auch am Trend zu Echtzeit-Analysen beobachten. Um kurzfristige Aktivierungseffekte zu optimieren, ist dieser Ansatz ideal, doch was das langfristige, große Bild angeht, kann dieser auch zum Verhängnis führen. Eine so erfolgreiche Kampagne wie unser John Lewis Weihnachts-Spot wäre mit einem solchen Ansatz niemals möglich gewesen.
Google betrachte ich dagegen als einen Online-Player, der auch die langfristigen Effekte im Blick hat. Meine Recherche, bei der ich Daten von Google Trends zur Auswertung genutzt habe, war nur deshalb möglich, weil das Team von Google diese Daten seit 2004 gesammelt hat. Das meine ich mit langfristigen Daten.