Am Donnerstag stellte Francesca Panetta, Special Projects Editor bei der englischen Tageszeitung The Guardian, auf der YouTube-Strandbühne in Cannes ihr Virtual-Reality-Projekt 6x9 vor und sprach darüber, welche Rolle Virtual Reality für den Journalismus der Zukunft spielen wird.
Als Multimedia-Redakteurin bei der Zeitung The Guardian macht sich Francesca Panetta schon seit Langem Gedanken über das Zusammenspiel von neuen Medien und Journalismus. Doch obwohl die Journalisten bereits Animationen, Podcasts und Videos für die Berichterstattung nutzen, konnte sich die Zeitung erst mit der neuesten VR-Produktion, dem 6x9-Projekt, als Vorreiter einer neuen Generation des Digital Storytelling etablieren. 6x9 lässt den Betrachter die Einzelhaft in einem US-Hochsicherheitsgefängnis aus der Perspektive eines Insassen erleben. Dies ist nicht nur beeindruckender Journalismus, sondern zeigt uns auch, welches unglaubliche Potenzial dieses neue Medium hat.
Für Francesca Panetta besteht der offensichtlichste Vorteil von Virtual Reality darin, dass man dem Betrachter ein Gefühl für den Ort des Geschehens vermitteln kann. Aus diesem Grund hatte sie sich für das VR-Projekt eine Story ausgesucht, bei der der Ort untrennbar mit dem Geschehen verbunden ist. Im Guardian waren bereits einige Artikel zum Thema Einzelhaft erschienen, unter anderem zu den "Angola Three"-Insassen in den USA. Das Thema bot sich also an.
"Es gibt noch keine Regeln dazu, wie Interaktion in Virtual Reality läuft. Wir mussten ganz von Null anfangen."
- Francesca Panetta, Special Projects Editor, The Guardian
Nachdem geklärt war, worum es gehen sollte, waren einige Fragen zu überdenken, die für jeden VR-Journalisten relevant sind. Soll eine Geschichte erzählt werden oder sollen die Betrachter eine Erfahrung miterleben? Normalerweise wird im Videojournalismus das herkömmliche Format des Dokumentarfilms verwendet. Hierbei nutzt der Filmemacher eine Geschichte mit einer Spannungskurve als Ausgangspunkt für seine Arbeit. Virtual Reality hingegen versetzt den Betrachter an den tatsächlichen Ort des Geschehens. Hier geht es darum, eine Situation selbst zu erleben. Francesca Panetta wies darauf hin, dass es bisher noch keine festen Regeln für das Medium oder bestimmte Erwartungen des Publikums an VR gibt. Der Produzent muss sich von seinen kreativen Instinkten leiten lassen, wenn er darüber entscheidet, welcher Ansatz für ein Projekt verwendet werden soll. Dieses Argument zog sich wie ein roter Faden durch ihren Vortrag.
Als Nächstes stellt sich die Frage nach dem Blickwinkel. Während der traditionelle Film dem Betrachter die Möglichkeit bietet, andere Menschen zu beobachten, kann VR den Zuschauer zum Hauptdarsteller machen. Dieser Wechsel vom passiven zum aktiven Erleben gibt VR-Filmemachern die Möglichkeit, beim Betrachter echtes Mitgefühl zu wecken. Es erfordert aber auch, dass der Filmemacher streckenweise die Kontrolle über die Handlung an den Betrachter abgibt. Letztendlich entschieden sich Francesca Panetta und ihr 6x9-Team für einen hybriden Ansatz. Der Zuschauer erlebt die Einzelhaft virtuell, aber es gibt auch ein erzählendes Element mit Tonaufnahmen von Gesprächen mit den Gefangenen. Zudem werden visuelle Effekte verwendet, die das Vergehen der Zeit und die psychischen Auswirkungen der Isolation versinnbildlichen sollen.
Das Team entschied sich, keine 360°-Videos sondern Computergrafik zu verwenden. Diese Frage wurde lange diskutiert, da es ethische Bedenken gegen eine rein künstlich erzeugte Erfahrung gab. Für die Computergrafik sprachen praktische Gründe, denn es ist logistisch fast unmöglich, in einem Hochsicherheitsgefängnis zu filmen. Ein positiver Nebeneffekt davon war zudem, dass sich die interaktiven Sequenzen leichter realisieren ließen. Francesca Panetta räumte ein, dass es noch keine Regeln dazu gibt, wie die Interaktion in der virtuellen Realität funktioniert. Es ist schwierig, eine Erfahrung zu gestalten, die sich nicht wie ein Videospiel anfühlt. 6x9 entgeht diesem Dilemma durch choreografierte Bewegungen, die den Zuschauer durch die neun Minuten dauernde Erfahrung führen.
6x9 erschien am 27. April auf Android, iOS und Samsung Gear VR und wird über eine Webseite des Guardian unterstützt, auf der auch zusätzliche Berichte, häufige Fragen und andere Inhalte zu finden sind. Um für das Projekt zu werben, hat das Team auch eine Installation für das Tribeca Filmfestival in New York geschaffen. Francesca Panetta hat während der Entwicklung und Veröffentlichung von 6x9 viel gelernt und gab dem Publikum in Cannes einige Empfehlungen für den Einsatz von VR im Journalismus mit auf den Weg:
- Überlegen Sie, warum Sie den Betrachter in die VR-Welt versetzen möchten. Soll er nur beobachten oder daran teilnehmen?
- Wenn die Erfahrung interaktiv sein soll, nehmen Sie sich Zeit, um die passende Nutzeroberfläche zu erstellen.
- Ton kann in VR-Projekten verwendet werden, um die durchgängige Handlung des herkömmlichen Films zu ersetzen.
- Stellen Sie ethische Überlegungen an – obwohl es noch keine Regeln dafür gibt, was im VR-Film akzeptabel ist, sollte die Erfahrung nicht künstlich wirken oder manipulativ sein.
- Glauben Sie an sich selbst – vertrauen Sie auf Ihren Instinkt dafür, wie eine Geschichte erzählt werden sollte.
VR ist ein immersives Medium, das leichter zu erfahren als zu beschreiben ist. Wenn Sie Francesca Panettas Film voll und ganz erleben möchten, stecken Sie Ihr Smartphone in ein Google Cardboard und sehen Sie ihn sich selbst an.