Beim Eishockey ist das Zusammenspiel entscheidend. Daher werden bei Torschüssen nicht nur die Schützen genannt, sondern auch die Namen der Spieler, die das Tor in der Kette der Puckbewegungen mit vorbereiteten haben. Im Online-Marketing werden die Customer Journey und damit die Berührungspunkte des Kunden mit Werbemaßnahmen oft genug nur auf den letzten Kontakt, „last cookie wins”, reduziert. Das ist einfach, ignoriert aber wichtige Bewegungen des Pucks bzw. des Kunden vor dem Zielschuss bzw. der Conversion.
Die richtige Attribution ist ein regelrechter Werttreiber für Unternehmen. Typisches Ergebnis dieser immer noch nicht etablierten Disziplin im heutigen Online-Marketing ist ein 10- bis 20-prozentiger Anstieg des gesamten Online-Marketing-ROIs (Return on Investment), auf Einzelkanalebene (Affiliates, Preissuchmaschinen) oft sogar höher. Diese Ergebnisse sind auf die optimierte Aussteuerung der Kanäle zurückzuführen. Des Weiteren ist in der Regel durch die Zentralisierung der Datenerfassung und -verarbeitung mit deutlichen Effizienzgewinnen zu rechnen, wie Studien zeigen.
Eine wichtige Grundvoraussetzung für die genannte Leistungssteigerung ist jedoch nicht nur das bekannte Verteilen von Wertbeiträgen entlang der Customer Journey. Vielmehr muss diese Disziplin in der Organisation, ihren Prozessen und der operativen Kanalsteuerung verankert, aber auch Kanal- und Abteilungs-Silos müssen aufgebrochen werden. Matthias Cada, echter Attributionsexperte, machte sich Gedanken um eine bessere Verteilung.
"Attribution ist ein Prozess, der den Wertbeitrag von Marketingevents zu einem definierten Zielergebnis (z. B. Produktverkauf) entlang der Customer Journey ermittelt. Die Customer Journey und Marketingevents werden in diesem Kontext als vom Kunden genutzte Interaktionen mit Kommunikationskanälen verstanden."
Die Ermittlung des Wertbeitrags erfolgt mittels sogenannter Attributionsmodelle, die entweder mit fixen Regeln oder mit statistischen Algorithmen den Wertbeitrag eines Kanals in einer Customer Journey zuweisen.
Folgende Darstellung veranschaulicht die Funktion.
Das Handlungsspektrum der Attribution, wie wir es seit einigen Jahren kennen, wird sich weiterentwickeln.
Bedarf erkannt, Technologie geschaffen
Glücklicherweise ist es nun mit fast allen Digital-Analytics-Tools (Adobe, AT Internet, Google Analytics, Webtrekk etc.) möglich, die komplette Customer Journey zumindest klickbasiert zu messen und Attributionsmodelle anzuwenden. Es gibt sogar immer mehr auf Customer-Journey-Tracking und Attribution spezialisierte Anbieter haben (Adclear, Exactag etc.) und auch fast alle Media-Technologie-Anbieter, wie Bid-Manager, bieten inzwischen diese Funktion an (Marin, DoubleClick etc.). Durch erweiterte Messmöglichkeiten oder die Nähe zum Inventar können diese beiden Anbietertypen auch Impressionen in der Modellierung berücksichtigen. Weitere Herausforderungen in der Messung von Kanälen sind die mobile Internetnutzung (s. u), Offline-Medien und je nach Business-Modell Conversions im stationären Handel oder anderen Offline-Instanzen, wie Callcenter. Für viele Herausforderungen gibt es inzwischen skalierende Ansätze; mehr dazu in Teil 2.
Wie nötig die Betrachtung ganzer Customer Journeys aktuell ist, zeigt das Online-Tool „Customer Journey Path to Online Purchase” pro Land und Industrie auf Think with Google. Für Deutschland ergeben sich bei fast allen Industrien Journeys über mehrere Kanäle hinweg.
Jetzt mag man meinen, der vollständigen Bewertung und entsprechenden Steuerung des heutigen Online-Marketings stünde nichts mehr im Wege. Trotzdem ist diese Disziplin laut vieler Studien noch weit vom Standard entfernt. Eine der letzten ernüchternden Zahlen kommt aus den USA. Gemäß eMarkter von 2015-11. nutzen selbst in den USA weniger als 50 % ein Attributionsmodell, das alle Kanäle auf der Customer Journey berücksichtigt (Multichannel Attribution Modeling Is Still Rare Among US Marketers, Nov 2015). In Deutschland sind das gemäß einer Umfrage von FELD M in Kooperation mit der Universität Passau inzwischen ähnliche Werte. Demnach nutzen rund 55 % der befragten Online-Marketing-Verantwortlichen noch kein journeyübergreifendes Modell. Demgegenüber planen laut eConsultancy 48 % aller Marketer eine Investition in entsprechende Attributionstechnologien (lt. eMarketer, „Cross-Platform Attribution” 2015).
Die Folgen eines Industriestandards
Bei all der technologischen Entwicklung wie auch Erkenntnis des Bedarfs mag man gar nicht glauben, dass das heutige Online-Marketing Attribution zwar kennt, seitdem es Performance-Marketing gibt, sich aber ein industrieweit etablierter Standard hält: Last Click – ein Attributionsmodell, das nur einen Kontakt aus der Journey berücksichtigt. Hier bekommt immer der letzte Klick den Wert einer Conversion zugerechnet. Vorteile sind die Vergleichbarkeit sowie Standardisierung und Zugang zur Metrik. Der Nachteil ist: Alle sogenannten vorbereitenden Kanäle (nicht der letzte) erhalten trotz ihres vermeintlichen Einflusses keinen Wertbeitrag allokiert.
Im Gesamtergebnis führt Last Click heute mehr denn je zu einer langfristigen Kettenreaktion.
Das Last-Click-Modell ermittelt höhere Kosten für Kanäle, die weniger oft als letzter Kontakt in Customer Journeys von Kunden genutzt werden. Im Kanalreporting erscheinen dann zu niedrige ROIs oder hohe Kosten pro Conversion. In der nächsten Planungsperiode werden selbstverständlich Kanäle priorisiert, die unter dem bekannten Modell, Last Click, ihre Zielwerte erreichten. Aber warum langfristige Kettenreaktion? Ohne vorbereitende Kanalkontakte gibt es irgendwann keine abschließenden Kanäle mehr.
Last Click, das ist, als würde man unterschiedliche Phasen der Entscheidung (z. B. Consumer Decision Journeys) und deren Beeinflussbarkeit durch Marketing verneinen und denken, Kunden kämen von allein in das Geschäft. Häufiges Muster zur Sicherstellung der potenziellen Kundenbasis sind reichweitenstarke Image- und Markenkampagnen oder strategische, generische Keywords. Um etwaige schlechtere Leistungswerte unter Last Click zu rechtfertigen, werden hierfür von vornherein „andere” Ziele definiert. Das mag kurzfristig Besuchervolumen kompensieren, doch zu welchem Preis und wie lange können sich solche internen Rechtfertigungsdiskussionen noch halten, wenn Technologien alle Kanäle erfassen und bewerten könnten? Ausgewogen scheint das vor allem nicht für den Kunden, der doch entlang der Customer Journey, eben entlang seiner Entscheidungsphasen, begleitet werden will, und das mit relevanten Nachrichten. Das haben mindestens die 48 % derer erkannt, die dieses Jahr in eine Attributionstechnologie investieren werden.
Die Folgen eines geänderten Nutzungsverhaltens
Laut einer kürzlich erschienenen Studie von Ipsos in Zusammenarbeit mit Google (DE Smartphone Nutzer, Ipsos/Google Studie 2015 auf ThinkwithGoogle.com), starten 85 % aller Produktsuchen inzwischen im Internet, wobei mobile Endgeräte immer wichtiger werden. Allein in den letzten drei Jahren stieg die Multi-Screen-Mediennutzung um 500 % an. 90 % der Internetnutzer wechseln dabei innerhalb einer Kaufrecherche das genutzte Gerät, sei es beim Einkaufen, bei der Planung einer Reise oder einfach nur beim Browsen von Online-Content. Mehr Informationen hierzu finden Sie in dem Artikel "Momente der Entscheidung". Das führt in den oben genannten Szenarien zu weiteren Herausforderungen.
Der Wechsel des Endgerätes führt zu Messlücken in den Journeys, die selbst unter Berücksichtigung aller Kanäle in der Allokation falsche Priorisierungen ergeben. Folgende Grafik stellt dies simplifiziert anhand der bisher genutzten beispielhaften Customer Journey dar.
Die Kanalsteuerung benötigt eine granularere Attribution.
Die Grafik veranschaulicht eine Customer Journey mit vier Kanälen – Display > Search > EMail > Remarketing – und deren sogenannten Steuerungsebenen. Hinter jedem Bullet Point liegen vielfache Variationen, wie z. B. bei Paid Search: Eine typische Search-Strategie hat je nach Land mindestens zwei Vendoren (Adwords und Bing), pro Vendor zumeist mehrere Accounts, häufig hundert und mehr Kampagnen und pro Kampagne oft zweistellige Keywordgruppen mit mehreren Keywords – das potenziert sich schnell, wird aber in den meisten Fällen auf Ebene der Keywordgruppe gesteuert (z. B. Budgetentscheidung oder Zielvorgabe).
Selbst wenn also das Ergebnis der Attribution eine Allokation des Marketingbudgets ermöglicht (unter Berücksichtigung der kompletten Customer Journey und falls notwendig endgeräteübergreifender Messung), so reichen strategische Vorgaben auf Kanalebene für eine Steuerung auf operativer Ebene nicht aus.
Ein Beispiel: Eine Attributionsanalyse stellt fest, dass Performance Display seine Zielvorgabe einer KUR – Kosten-Umsatz-Relation – um 20 % senkt. Das Management entscheidet eine Priorisierung des Kanals und erhöht das Budget entsprechend, um das Gesamtvolumen in der Folgeperiode zu steigern. Der Vendoren- und Kampagnenmanager freut sich im ersten Moment über den Erfolg seines Verantwortungsbereichs und die Budgeterhöhung. Doch für welchen Vendor, und gar für welches Targeting und welche Werbeformen, soll er das Budget erhöhen? Es ist selbstverständlich, dass nicht jede Kombination an Steuerungsattributen eines Kanals und Vendors Gleiches leistet. Das zeigt auch folgender Beispielreport, in dem sich durch die granularere Analyse sehr volatile Ergebnisse je Steuerungsebene zeigen.
Ein Kampagnenmanager könnte hier individuell die Steuerungsebenen mit dem größeren Budget erhöhen, die sogar deutlich mehr als der Durchschnitt leisten.
Attribution muss die Zukunft gestalten
Eine Gesamterhöhung des Budgets über Vendoren oder pro Vendor kann nicht zum parallelen Leistungsanstieg führen, das zeigt der Report auch. Oft wird bei Bid-Management-Technologien automatisch über das gesamte Portfolio hinweg optimiert, doch insbesondere hier gilt, dass die Media-Steuerungssysteme von heute den Wertbeitrag ihrer Maßnahmen genau kennen müssen.
Ghostery (eine Browser-Extension für Chrome, Safari oder Firefox, die Tracking-Pixel pro Seitenaufruf erkennt - www.ghostery.com) zeigt es uns jeden Tag: Media-Vendoren haben eigene Tracking-Pixel. Das brauchen sie auch, sonst könnten sie nicht in ihren eigenen Interfaces über Erfolg und Misserfolg berichten und diese entsprechend bei der Aussteuerung priorisieren. Remarketing wäre ohne eigne Pixel kaum machbar (Pixel gruppieren Nutzer nach Verhalten, s. o. im Reportbeispiel), Cross-Device-Tracking wäre gar nicht und Automated Bidding nur eingeschränkt möglich. Diese Funktionen will man als heutiger Online-Marketer nutzen, jedoch führen sie zu Problemen. Sie berichten nicht nur falsche Ergebnisse, da sie die anderen Kanäle, die an der Customer Journey beteiligt sind, nicht kennen (die haben jeweils ihre eigenen Tracking-Pixel), sondern optimieren dadurch auch auf den falschen Wert.
Folgende Grafik stellt die Allokation dar, wenn eigene Tracking-Pixel genutzt werden. Dieses Mal sind Kanal zwei und drei die gleichen Vendoren und jedes Tool pro Kanal verwendet ein lineares Attributionsmodell.
Die Aufgabe der Attribution liegt also darin, diese Werte in das Tool zu integrieren.
Laut einer kürzlich erschienen Case Study auf Think with Google von ABOUT YOU, E-Commerce-Start-up der OTTO Group, lag genau darin der Erfolg: ABOUT YOU erkannte, dass für die Kanaloptimierung auf Basis der Attribution die Allokation auf den Steuerungsebenen erfolgen muss. Nur so ist eine unmittelbare Budgetentscheidung pro Vendor möglich. Für den automatisierten Media-Einkauf wurden gar die attribuierten Werte direkt in den Bid-Manager zurückgespielt. So werden z. B. für Preissuchmaschinen Budgetentscheidungen auf Produktebene (SKU) pro Vendor durchgeführt, indem die Produktfeeds in der Suchmaschine durch die Attributionswerte dynamisch gesteuert werden. Das führte zu erstaunlichen Effizienzgewinnen (- 32 % KUR – Kosten-Umsatz-Relation). Für Google Adwords wurde die Attribution pro Klick und User durchgeführt und die attribuierten Wertbeiträge wurden pro Klick täglich in das Bidding-Tool geladen. Daraufhin änderte das Tool die Optimierung am gesamten Portfolio und der Umsatz wurde um 24 % gesteigert. Das Tool kannte den tatsächlichen Wertbeitrag seiner generierten Klicks.
Attribution von morgen mit FABB
„FABB – The Future of Attribution Based Bidding” – das ist ein Prozess aus Technologie und Service. FABB besteht aus fünf Phasen zur Lösung der genannten Herausforderungen und Etablierung der Attribution von morgen in der Online-Marketing-Funktion.
Die Phasen des FABB-Frameworks beginnen bei der Identifizierung des Bedarfs für Attribution sowie dem Teambuilding und zeigen auf, wie die nötige Priorisierung von Beginn an erzielt werden kann. Auch auf den Technologiebedarf wird Bezug genommen, denn Attribution treibt vor allem eines: die Etablierung einer Single-Source-of-Truth im Marketing-Performance-Management. Auf die Assessphase folgt Collect, wo Measurement-Ansätze aufgezeigt werden: Welche Kanäle müssen wie gemessen werden, um die Modelling-Ergebnisse möglichst effizient in die Steuerung zu überführen? Auch das Thema Cross Device wird dabei berücksichtigt: Wie stellt man fest, ob die deviceübergreifende Messung notwendig ist und wenn ja, wie kann eine Messung ermöglicht werden? In der Understandphase wird der Weg zur Modelldefinition beschrieben: Welche Modellierungsansätze gibt es, worin liegen Vor- und Nachteile und welche Implikationen entstehen für die Kanaloptimierung?
FABB, das ist eine konstante Optimierung und eine feste Funktion in der Marketingunternehmung von morgen, die sich sogar der Frage der Inkrementalität stellt: Was ist der tatsächliche Wertbeitrag von Attribution, ist es ein Cost oder Profit Center?
Diese How-tos und viele Insights folgen im zweiten Teil dieses Beitrags in der nächsten Ausgabe.