Die Veränderung des Weihnachtsgeschäfts von einer fünftägigen Einkaufsrallye zwischen Thanksgiving und Cyber Monday hin zu einem ganzjährigen Ereignis beeinflusst weltweit die Strategien der Einzelhändler. Auch wenn es wichtig ist, Traffic möglichst früh zu erzeugen, sollten gewinnorientierte Marken vor allem darauf setzen, qualitativ hochwertigen Traffic zu generieren. Da es immer mehr Vertriebskanäle gibt, die sich auch überschneiden können, ist dies kein leichtes Unterfangen. Viele Branchenführer investieren deshalb verstärkt in AI-gestützte Kampagnen, die das Interesse besonders kaufkräftiger Kundinnen und Kunden wecken sollen, mit denen sie über verschiedene Touchpoints in Berührung kommen.
Eins dieser Unternehmen ist der niederländische Einzelhändler Scotch & Soda. „Das Weihnachtsgeschäft 2022 war aus makroökonomischer Sicht schwierig“, erklärt Leon Wharton Hallen, Media & Advertising Director, Scotch & Soda. „Wir beobachten eine Veränderung des Konsumverhaltens, da die Käuferinnen und Käufer schon früher im Jahr Ausschau nach günstigen Angeboten halten. Außerdem steigen die Kosten für die Kundenakquise. Da Traffic nicht gleich Traffic ist, mussten wir sehr sorgfältig vorgehen, um die richtigen Kundinnen und Kunden über die verschiedenen Kanäle hinweg zu finden und mögliche Störfaktoren auszuschließen. AI hilft uns dabei, vor allem diejenigen Kundinnen und Kunden zu identifizieren und zu erreichen, die bereit sind, etwas zu kaufen, statt nur stöbern zu wollen.“
Wenn Unternehmen das volle Potenzial der AI ausschöpfen wollen, müssen sie ihre Geschäftsmodelle überdenken und ihre Arbeitsweise neu organisieren.
Michelle Hernandez, Director of Omnichannel Digital Marketing bei Deckers Brands, setzte im Weihnachtsgeschäft ebenfalls auf AI: „Awareness, Consideration und Kauf verschmelzen miteinander. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten, dass der Point of Need und der Point of Sale beim täglichen Stöbern in digitalen und physischen Kanälen zusammenlaufen. Wir haben daher unseren Aufwand für AI-gestützte Kampagnen verdoppelt, um kaufkräftige Kundinnen und Kunden unabhängig von ihrem Aufenthaltsort zu gewinnen.“
Der Erfolg von Hallen und Hernandez wird durch eine neue Studie von McKinsey bestätigt, die voraussagt, dass der durch AI erzielte Mehrwert hoch und weitgehend stabil bleibt. Wenn Unternehmen das volle Potenzial der AI ausschöpfen wollen, müssen sie jedoch ihre Geschäftsmodelle überdenken und ihre Arbeitsweise neu organisieren. Das kann Marketer im Einzelhandel vor eine Herausforderung stellen. Einerseits müssen sie mit neuen Möglichkeiten experimentieren, um den Geschäftswert zu steigern, andererseits soll die Rentabilität stabil bleiben.
Glücklicherweise muss dieser Wandel nicht auf einen Schlag erfolgen. Um diesen Prozess systematisch zu analysieren, baten wir zwölf führende Branchenunternehmen, uns zu verraten, wie sie zur Vorbereitung des Weihnachtsgeschäfts nach und nach AI-gestützte Kampagnen testeten. Anhand dieser Gespräche konnten wir vier verschiedene Phasen sowie wichtige Tipps und Erfolgsstrategien herausarbeiten.
Phase 1: Sondieren
Ein guter Einstieg in die Nutzung AI-gestützter Kampagnen besteht darin, sich auf einen Ausgangspunkt festzulegen. Hier werden einige bewährte Methoden beschrieben, mit denen sich Spielraum für Experimente schaffen lässt.
Frühzeitig neue Strategien testen
Anfang 2022 beschloss der französische Zustelldienst Chronopost, AI-gestützte Kampagnen unmittelbar vor der Weihnachtszeit zu testen, in der seine B2B-Kunden größere Mengen an Paketen versenden. Dieses vorausschauende Denken hat zum Erfolg beigetragen. Eva Bossy, Digitalchefin der Marke: „Wir haben unseren Umsatz um 85 % gesteigert und unsere Rentabilität trotz einer unsicheren Wirtschaftslage verbessert.“
"Gut genug“ ist nicht gut genug
Der Online-Händler Fragrance.com setzte auf erfolgreiche, profitable Standard-Shopping-Kampagnen. Daher zögerte das Marketing-Team zunächst, AI bei der Bewerbung seiner Luxusmarken über verschiedene Kanäle einzusetzen. „Doch aufgrund des wirtschaftlichen Gegenwinds und des zunehmenden Wettbewerbs wussten wir, dass uns AI-gestützte Werbung einen Vorteil verschaffen könnte“, sagt CMO Michael Nadboy. „Nach einer Pre-Post-Analyse entschieden wir uns, wichtige Kampagnen bereits vor die fünf Tage zwischen Thanksgiving und Cyber Monday zu legen – eine Strategie, die sich ausgezahlt hat, denn wir steigerten unseren Umsatz um 40 %.“
Hypothesen auf bereits gewonnene Erkenntnisse stützen
Die nordamerikanische Handelskette Michael’s hat bisher auf bewährte Lösungen wie Broad-Match-Keywords, Smart Bidding und responsive Suchanzeigen gesetzt, um besonders wertvolle Kundinnen und Kunden in Echtzeit zu gewinnen. Die dabei erzielten Erkenntnisse bildeten die Grundlage für künftige Experimente. Kathleen Moler, Head of Media and Digital Marketing, erklärt: „Als nächste Form AI-gestützter Anzeigen wollten wir es mit kanalübergreifenden Kampagnen versuchen. Da unsere Kundinnen und Kunden auf allen digitalen Kanälen Anregungen für Kunst und Kunsthandwerk suchen, ist es für uns sinnvoll, uns mit ihnen weiterzuentwickeln und zugleich den Umsatz spürbar zu steigern.“
Phase 2: Experimentieren
Schnelles Lernen ermöglicht Innovation. Wir zeigen, wie Unternehmen eine Kultur des Testens und Lernens aufbauen können.
Gefahrlos scheitern und aus dem Scheitern schnell lernen
Der bereits erwähnte niederländische Einzelhändler Scotch & Soda ist davon überzeugt, dass das Experimentieren mit Innovationen der Schlüssel zum Erfolg und zur Profilierung in einem wettbewerbsintensiven Umfeld ist. Hallen erläutert das so: „Wir testen neue Methoden in einer kontrollierten Umgebung, um aus Fehlschlägen schnell zu lernen und uns umso mehr mit dem zu befassen, was funktioniert. Dabei konzentrieren wir uns auf die wirklich wichtigen Messgrößen. Als die wichtigste Messgröße für den Erfolg beispielsweise der Umsatz war, zeigten unsere Experimente anfangs zwar einen Rückgang des Traffics, doch wir ließen den Test weiterlaufen, da wir mit unserem AI-gestützten Ansatz vor allem wertvolle Kunden finden wollten. Am Ende stellten wir fest, dass wir mehr Umsatz auf eine effizientere Weise erzielen konnten.“
Wir testen neue Methoden in einer kontrollierten Umgebung, um aus Fehlern schnell zu lernen und uns umso mehr auf das zu konzentrieren, was funktioniert.
Klein anfangen und umfassend optimieren
Obwohl die Marketer der Kosmetikmarke Coco & Eve aus Singapur bereits Erfahrung mit AI-gestützten Kampagnen hatten, sorgten sie sich, dass durch die Einbeziehung weiterer Kanäle die Rentabilität sinken könnte. „Diese Bedenken waren jedoch verflogen, als wir mit einigen wenigen Artikeln begannen und einen Pre-Post-Test durchführten, um die Performance der Artikel mit der in unseren vorherigen Kampagnen zu vergleichen“, so Philip Nguyen, VP of Growth. Gleichzeitig wurden Videos und andere Inhalte optimiert, um die AI mit dem bestmöglichen Material zu unterstützen. Und das hat sich ausgezahlt. „Wir konnten den Umsatz um 32 % steigern und dabei den Cost per Conversion um 26 % senken. So hatte unser Team mehr Zeit für andere strategische Aufgaben“, erklärt Nguyen.
Fundierte Entscheidungen mit der „Experiments“-Funktion testen
Bool.com, ein Online-Marktplatz in den Niederlanden und Belgien, brachte seine Produkte bisher mit Standard-Shopping-Kampagnen mehr als 13 Millionen Käuferinnen und Käufern näher. Bevor man diese Kampagnen auf eine AI-gestützte Lösung wie Performance Max umstellte, musste diese Entscheidung mit belastbaren Daten belegt werden. Arend de Ruiter, Leiter für Suchmaschinenwerbung und Erfolgsmessung, erklärt, wie dies erreicht wurde: „Wir haben einen sehr strengen Testprozess angewendet und die neue Funktion Experiments genutzt, um den Testprozess zu automatisieren und zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Nach drei Monaten waren unsere Bedenken zerstreut, und wir begannen, Performance Max in großem Maßstab einzusetzen. Am Ende des Weihnachtsgeschäfts hatten wir im Vergleich zu Standard-Shopping-Kampagnen einen um 64 % höheren Umsatz erzielt.“
Phase 3: Umsetzen
Experimente funktionieren, wenn alle Beteiligten die gleichen Erwartungen haben und diese noch übertreffen wollen. Wie erfolgreiche Marken ihre AI-Strategie umsetzen, zeigen wir jetzt:
Die Führungsebene für AI gewinnen
Wenn die konkreten geschäftlichen Vorteile von AI-Initiativen sichtbar werden, erleichtert das den Marketern die Konsensbildung in ihren Unternehmen. Ein Beispiel dafür ist das skandinavische Online-Warenhaus Boozt.com. Jesper Jensen, Leiter des Medien- und Onlinemarketings, erklärt: „Wir haben das oberste Management über die Tests mit AI-gestützten Kampagnen informiert und die Ergebnisse unserer kaufmännischen Leitung mitgeteilt.“
Um Dynamik aufzubauen, sollten Retailer auf ein Unternehmensziel hinarbeiten, das als Orientierungspunkt dient. Sie können es zum Beispiel wie der Fahrrad-Abo-Anbieter Swapfiets machen. „Eine der größten Herausforderungen für Unternehmen mit abonnementbasiertem Geschäftsmodell besteht darin, den Kundenstamm bei möglichst geringen Kosten zu vergrößern“, erklärt Debora Copercini, die Performance-Marketing-Spezialistin des Unternehmens. „Ich war verblüfft, wie wir in nur zwei Wochen unser Ziel für die Neukundenakquise erreichen und unsere Kosten pro gewonnenem Neukunden um 44 % senken konnten.“
Finetuning ist wichtig – auch nach guten Ergebnissen
Bei der Vorbereitung auf das Weihnachtsgeschäft können Marken, die von der Wirkung ihrer kanalübergreifenden Kampagnen bereits überzeugt sind, ihre AI-gestützten Kampagnen durch Best Practices noch profitabler machen. Das Onlinemarketing-Unternehmen Jellyfish hat diese Vorgehensweise gewählt, um seinen Kunden aus dem Einzelhandel zu helfen. „Wir haben Informationen zu den Shops und lokale Produktfeeds hochgeladen, um die Omnichannel-Funktionalität zu erweitern, und saisonale Anpassungen genutzt, um die Ausgaben in umsatzstarken Zeiten anzupassen“, sagt Sara Furney-Howe, Senior Paid Search Director. „Außerdem verfeinerten wir Inhalte und saisonale Botschaften zusammen mit langlebigen Werbebotschaften. AI hat unseren Input vervielfacht, sodass wir unsere Umsatzziele für das gesamte Geschäftsfeld deutlich übertreffen konnten.“
AI hat unseren Input vervielfacht, sodass wir unsere Umsatzziele für das gesamte Geschäftsfeld deutlich übertreffen konnten.
Neuen Erkenntnisse auf andere Unternehmensbereiche übertragen
Durch die Erprobung von AI-Lösungen können sich Möglichkeiten eröffnen, die das gesamte Unternehmen effizienter machen – wie etwa bei dem führenden Brillenhersteller EssilorLuxottica. „Wir haben mehr als ein Jahr gebraucht, um automatisierte Kampagnen mit A/B-Tests umfassend zu vergleichen. Das war eine sehr produktive Zeit, in der wir die geschäftlichen Auswirkungen von Änderungen bei der Gebotsautomatisierung, der Kampagnenstruktur und dem Feedmanagement genau analysiert haben“, sagt Andrea Orlunghi, Global Performance Marketing Director bei EssilorLuxottica. „Durch das Testen neuer Lösungen haben wir eine gemeinsame Definition von Erfolg entwickelt, die abteilungsübergreifend gültig ist.“
Phase 4: Ausbauen
Marketing-Teams, die mit ihren Experimenten Erfolg hatten, können diese Dynamik nutzen, um noch größere Initiativen in Angriff zu nehmen.
Cross-Channel-Nachfragen erschließen und zusätzliche Silos aufbrechen
Für Scotch & Soda wird es in Zukunft darum gehen, Grenzen zwischen den verschiedenen Kanälen aufzuheben und neue Möglichkeiten zu erproben, wie das Unternehmen mit seinen wertvollen Kunden in Kontakt tritt. Leon Wharton Hallen von Scotch & Soda beschreibt das so: „Da unsere App-Kunden einen höheren durchschnittlichen Bestellwert sowie einen höheren Lifetime Value haben, konzentrieren wir uns in diesem Jahr darauf, einen nahtlosen Übergang von Web zu App zu ermöglichen und die Auswirkungen der App-Downloads auf unser Geschäft insgesamt zu messen.“
EssilorLuxottica verfolgt ebenfalls einen Cross-Channel-Ansatz, um das Kundenverhalten zu analysieren. „Wir brechen die Silos zwischen den Online-Kanälen auf, aber auch zwischen dem Online- und Offline-Bereich. Außerdem verknüpfen wir First-Party-Daten aus verschiedenen Quellen, um die Customer Journey noch besser zu verstehen“, sagt Orlunghi. „Das hätten wir zwar ohnehin gemacht, aber AI hat es uns ermöglicht, dies in einem Jahr umzusetzen statt in zehn.“
Dank AI haben wir Silos in einem statt in zehn Jahren aufgebrochen.
Die Erfolgsstrategie global skalieren
Nachdem L’Oréal Vietnam während ihres 12.12-Mega-Sales eine kanalübergreifende Strategie mit Erfolg erprobt hatte, wollte das Unternehmen diese in der gesamten asiatisch-pazifischen Region wiederholen. Durch die Ausweitung auf fünf weitere Märkte wurden mehr Kundinnen und Kunden über die verschiedenen Kanäle erreicht und mehr Gewinne erzielt.
Der Online-Marktplatz Fruugo ist im vergangenen Jahr ähnlich vorgegangen. „Fruugo ermöglicht seinen Verkäufern eine weltweite Sichtbarkeit ihrer Produkte. Mit AI-gestützten Kampagnen bewerben wir Millionen von Produkten bei Käufern in 40 Ländern“, sagt Tony Preedy, Geschäftsführer von Fruugo. „Nach einem erfolgreichen Test in Japan, einem unserer anspruchsvollsten Märkte, haben wir Performance Max schnell eingeführt, um unsere Kampagnen in mehr als 20 Sprachen zu steuern. Das hat zu Milliarden von Werbeeinblendungen geführt, die Fruugo 2022 ein Umsatzwachstum von 110 % im Vergleich zum Vorjahr bescherten.“
Da jeder Einzelhändler eigene Prioritäten und Bedürfnisse hat, lässt sich durch die Erprobung von AI-Lösungen ein umfassender Überblick über deren Auswirkungen und Performance in der Praxis gewinnen. Die verschiedenen Perspektiven zeigen uns, dass ein Vorgehen in kleinen Einzelschritten sich langfristig darauf auswirken kann, wie Marken im Jahr 2023 und darüber hinaus in ihrem Marktumfeld zurechtkommen.