Neil Schwarz ist Director bei Cxpartners, einem Beratungsunternehmen, das sich auf nutzerfreundliches Design spezialisiert hat. In Zusammenarbeit mit Google verhilft es Unternehmen zum Erfolg auf mobilen Plattformen. Ayelet Lazarovitch ist Product Experience Specialist und Mitbegründer des User Lab bei Google, das sich auf Anwenderforschung spezialisiert hat.
Vom einfachen Stöbern bis hin zum Bezahlvorgang: Wie potenzielle Kundinnen und Kunden online mit Unternehmen interagieren, wie sie die Angebote einer Website ausprobieren und bewerten, ist für den Unternehmenserfolg entscheidend. Aber gerade auf Mobilgeräten zeigen Shops häufig Schwachstellen, die das Markenerlebnis beeinträchtigen und dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Ziele nicht erreichen. User-Tests, mit denen Unternehmen die Nutzerfreundlichkeit ihrer mobilen Präsenz überprüfen können, schaffen Abhilfe. Das mag nach viel Aufwand klingen, ist aber tatsächlich nicht kompliziert. Schon wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer genügen, um aufschlussreiche Ergebnisse im Rahmen von User-Tests zu liefern.
In 19 Ländern in Europa, im Nahen Osten und in Afrika haben Google und Cxpartners bereits über 200 Workshops durchgeführt, in denen sie für Kundinnen und Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen die Nutzerfreundlichkeit getestet haben – vom Floristen bis zum Finanzdienstleister. Diese Workshops förderten verblüffende Ergebnisse zutage: Nach den erforderlichen Änderungen meldeten einige Unternehmen sogar zweistelligen Zuwachs bei den mobilen Conversion-Raten.1 (In einem Fall hat sich die Conversion-Rate sogar fast verdreifacht.2)
Wie man Nutzerfreundlichkeit testet – die Grundlagen
Nutzertests sind unkompliziert. Mit ihnen können Unternehmen herausfinden, wie echte Kundinnen und Kunden mit ihrer Website interagieren, indem sie ihnen dabei quasi über die Schulter blicken. Und das ist aus drei Gründen sehr effektiv:
- Es ist aussagekräftiger als die reine Datenanalyse. Die Einblicke, die bei Tests gewonnen werden, sind stets informativer als ein simpler Datensatz. „Die Daten zeigen lediglich, was Nutzerinnen und Nutzer machen, während die Tests offenbaren, warum sie die Aktionen durchführen“, erläutert Refael Bitton, Mitbegründer des User Lab bei Google.
- Es ist wirkungsvoll: Nutzertests enthüllen falsche Vorstellungen darüber, wie Nutzerinnen und Nutzern denken und mit Marken interagieren, sodass die Teams ihren Ansatz entsprechend optimieren können.
- Es ist kostengünstig: Studien haben gezeigt, dass auch Tests, die mit nur fünf Personen durchgeführt werden, wichtige Erkenntnisse liefern können. Außerdem hat Cxpartners nachgewiesen, dass Remote-Tests auch bei Einschränkungen aufgrund der Coronakrise funktionieren.
In zahlreichen Workshops sind im Laufe der Jahre im Zusammenhang mit der Nutzerfreundlichkeit einige Fallstricke aufgefallen, die besonders häufig auftreten – unabhängig von Unternehmen und Branche. Einige der größten Herausforderungen, auf die das Team dabei gestoßen ist, sind im Folgenden zusammengefasst.
1. Herausforderung: Produkte sind nur schwer zu finden
Eine der größten Schwierigkeiten ist die Auffindbarkeit von Produkten. Das gilt insbesondere für Unternehmen des Einzelhandels und der Reisebranche. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer haben ihre gewohnten Methoden, um in umfangreichen Produktkategorien zu stöbern. Müssen sie sich aber durch das Sortiment kämpfen, um zu finden, was sie suchen, kann das potenzielle Kundinnen und Kunden abschrecken. Daher sind eine effiziente Navigation und gute Filtersysteme unerlässlich. Die gute Nachricht lautet: Tests haben gezeigt, dass Unternehmen schon mit wenigen Optimierungen eine ganze Menge erreichen können.
So wollte der weltweit agierende Modekonzern H&M beispielsweise herausfinden, warum der Absatz von Baby- und Kinderkleidung über Mobilgeräte hinter den Erwartungen zurückblieb. Erst ein Nutzertest sorgte für ein großes Aha-Erlebnis:
„Wir haben entdeckt, dass die Navigation auf unserer mobilen Website die Eltern verwirrt hat“, erläutert Martin Lechev, Produktdesigner und Navigationsspezialist bei H&M. „Die Bezeichnungen unserer Kategorien, etwa ‚Neugeborene‘, ‚Babys‘, ‚Kinder‘ und der spezielle Abschnitt für die H&M-Marke ‚Kids Exclusive‘ waren für die Eltern nicht eindeutig. Sie wussten nicht, wo sie mit der Suche beginnen sollten. Unsere Untersuchung hat ergeben, dass diese Segmentierung und die Markenstrategie nicht funktioniert haben. Das war sehr aufschlussreich.“
Daraufhin vereinfachte das Team die Navigation und reduzierte sie auf nur zwei Kategorien, „Babys“ und „Kinder“. Die Filteroptionen wurden verbessert, damit potenzielle Käuferinnen und Käufer die richtigen Größen leichter finden oder Kleidung aus nachhaltigeren Materialien wie Biobaumwolle gezielt aufrufen können. „Mir war nicht bewusst, wie wichtig Käuferinnen und Käufern die Materialien der Kinderkleidung sind, bis wir festgestellt hatten, was genau sie sich auf der Website angesehen haben“, so Lechev. „Das war eine wichtige Erkenntnis und hat dazu beigetragen, unsere Kommunikation zu verbessern.“
2. Herausforderung: Die eigene Marke sticht nicht hervor
Für ein Unternehmen ist es entscheidend, zu zeigen, wie sich die eigene Marke von der Konkurrenz abhebt und was sie so besonders macht. Das ist auf dem kleinen Smartphonedisplay nicht so einfach. Nutzerinnen und Nutzer wollen Gewissheit, um die richtige Kaufentscheidung zu treffen: Ist die Marke die hochwertigste der Branche? Bietet sie den besten Service? Oder sind die Preise am günstigsten?
Für HelloFresh, einen Anbieter von Kochboxen, war schnell klar, dass die Optimierung der mobilen Website Priorität hat, nachdem festgestellt wurde, dass 59 Prozent der Suchanfragen nach „meal kits UK“ (Kochboxen UK) von Mobilgeräten stammen.3 Mit dem Ziel, mehr über die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu erfahren, nahm das Team an Workshops von Cxpartners teil. Bei Tests stellte sich heraus, dass die Nutzerinnen und Nutzer zwar allesamt die Marke kannten, aber nicht wussten, was HelloFresh von der Konkurrenz unterscheidet. Wichtige Informationen auf der mobilen Website entgingen ihnen, etwa wie sie das Angebot an ihre Wünsche anpassen oder ihre Bestellung stornieren können. Und sie hatten auch nicht entdeckt, wie viele Rezepte verfügbar waren.
Basierend auf diesen Erkenntnissen definierte das Team einen klaren Maßnahmenplan: HelloFresh muss sich durch sein einzigartiges, flexibles Angebot hervorheben. Das bedeutete, Begriffe wie „Jederzeit kündbar“ stärker zu betonen, mehr Kategorien zum Filtern von Rezepten anzubieten und das Tool zur Anpassung der Größe der Kochboxen früher in die Customer Journey zu integrieren.
„Es war sehr aufschlussreich, zu beobachten, wie potenzielle Kundinnen und Kunden durch die Website navigieren. In einigen Fällen bemerkten wir, wie sie zögerten, den Kauf abzuschließen. Daher wussten wir, dass die Stornierungsoptionen besser herausgestellt werden müssen“, erläutert Idan Mouallem, Associate Director of Product bei HelloFresh. „Bei HelloFresh steht die Flexibilität im Mittelpunkt. Das unterscheidet uns von der Konkurrenz. Es ist wichtig, diese Botschaft zu vermitteln, und daran arbeiten wir kontinuierlich.“
3. Herausforderung: Informationen sind zu unübersichtlich
Potenzielle Kundinnen und Kunden suchen nach den richtigen Informationen, bevor sie sich für ein Produkt entscheiden. Insbesondere bei kostspieligen Anschaffungen ist eine umfassende Übersicht über die Vorteile des Produkts hilfreich, um sie zu überzeugen. Doch viele Unternehmen machen es ihnen schwer, diese wichtigen Informationen zu finden – natürlich ungewollt. Das kann dazu führen, dass potenzielle Kundinnen und Kunden die Website frustriert verlassen.
Der niederländische E-Bike-Hersteller VanMoof wollte in Deutschland expandieren und hierzu den Absatz über seine mobile Website ankurbeln. E-Bikes sind eine relativ neue Produktkategorie und in mehreren Workshops zeigte sich, dass die Nutzerinnen und Nutzer das Produktangebot und die besonderen Merkmale und Vorzüge nicht immer vollkommen verstanden. So fanden sie die technischen Beschreibungen zu den integrierten Akkus und zum Diebstahlschutz namens „Kick Lock“ eher verwirrend. Obwohl die Zweckmäßigkeit und die hohe Qualität dieser Produktmerkmale klare Vorteile sind, wurden sie auf der mobilen Website einfach übersehen oder falsch verstanden.
Als Reaktion auf die Ergebnisse der Workshops überarbeitete das Team die Website und legte den Schwerpunkt auf kundenorientierte Sprache und authentische Bilder. Beispielsweise wurden verstärkt Fotos von E-Bikes und Fahrradfahrern verwendet und die technischen Fachausdrücke reduziert, da augenscheinlich nur erfahrene E-Bike-Käuferinnen und -Käufer damit etwas anfangen konnten. Zudem zeigt die neue Website die E-Bikes in ganz unterschiedlichen Settings, um eine breite Zielgruppe anzusprechen. Diese Änderungen trugen maßgeblich dazu bei, das Verständnis der Kundinnen und Kunden für die wichtigsten Vorteile, das Zubehör und die Angebote deutlich zu verbessern.
VanMoof verzichtete auch auf abstrakte Bilder, um das E-Bike-Design in den Vordergrund zu stellen. Außerdem wurde die auffällige Schaltfläche „Jetzt kaufen“ durch „Jetzt entdecken“ ersetzt, um die Nutzerinnen und Nutzer einzuladen, sich über alle Vorteile zu informieren, bevor sie sich zum Kauf eines E-Bikes entscheiden.
Die Erkenntnisse aus dem Workshop haben letztlich dazu beigetragen, dass sich das gesamte Unternehmen stärker in den Marketingprozess einbringen konnte. „Unternehmensweit gab es viele großartige Ideen. Wir erkannten, dass nicht nur wir mit der Website experimentieren wollten“, so Dayana Simeonova, Growth Marketer bei VanMoof. „Wir ermuntern jetzt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen, Vorschläge zur Optimierung der Website zu machen.“
4. Herausforderung: Bedenken bezüglich des Datenschutzes
Weltweit legen Verbraucherinnen und Verbraucher immer mehr Wert auf Datenschutz. Dieser Aspekt hat sich auch durchweg in User Lab-Workshops bestätigt. Oft haben Nutzerinnen und Nutzer den Funnel wieder verlassen, weil sie befürchteten, dass ihre Daten an aufdringliche Vertriebsteams weitergegeben werden. Das war insbesondere dann der Fall, wenn sie bereits früh in der Recherchephase zur Eingabe ihrer E-Mail-Adresse und Telefonnummer aufgefordert wurden.
Die Louvre Hotels Group nahm an einem User Lab-Workshop von Cxpartners und Google teil, um ihren Kundinnen und Kunden das bestmögliche mobile Nutzererlebnis zu bieten, denn mehr als 60 Prozent der Web-Sitzungen des Hotel-Franchise-Unternehmens erfolgten über Mobiltelefone. Verbesserungen der mobilen Website waren somit von entscheidender Bedeutung.
Der Workshop zeigte, dass die Nutzerinnen und Nutzer Schwierigkeiten hatten, ein plakatives Pop-up mit der Aufforderung „Mitglied werden“ zu verlassen. Sie fühlten sich genötigt, ihre persönlichen Daten einzugeben, um sich für das Treueprogramm anzumelden. Die Louvre Hotels Group berücksichtigte diese Datenschutzbedenken, indem sie die Vorteile für Mitglieder, beispielsweise Treuerabatte, besser sichtbar platzierte. Außerdem wurden gut erkennbare „Zurück“-Schaltflächen hinzugefügt, um deutlich zu machen, dass die Mitgliedschaft optional ist. Durch diese Änderungen, kombiniert mit einer vereinfachten Navigation, konnte die Louvre Hotels Group schon nach wenigen Monaten die mobile Conversion-Rate um 30 Prozent steigern.
„Durch den Workshop zum Thema Nutzerfreundlichkeit konnten wir die Bedenken der Kundinnen und Kunden besser verstehen und ausräumen“, so Thibaud Ciaravino, Lead Product Owner Web & App der Louvre Hotels Group. „Wir geben den Besucherinnen und Besuchern unserer Website jetzt mehr Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten. So fühlen sie sich weitaus wohler – und das hat bei Louvre Hotels oberste Priorität.“
So profitieren Unternehmen von UX-Tests
Von den Workshops konnten bereits viele Unternehmen profitieren. Besonders ein Thema zieht sich wie ein roter Faden durch alle Erfolgsgeschichten: Authentizität. Ohne die Gespräche mit echten Nutzerinnen und Nutzern wären diese Erkenntnisse nicht möglich gewesen. Daher sollten alle Unternehmen, ob groß oder klein, regelmäßig Nutzertests durchführen. Nur so können sie letztlich herausfinden, wie sie das Nutzererlebnis auf ihrer Website verbessern können, um das Wachstum zu fördern.
Das sind die Kernpunkte, die Unternehmen im Rahmen von Nutzertests beleuchten sollten:
- Legen Sie klare, konkrete Geschäftsziele fest: Viele Unternehmen wollen einen bestimmten Messwert verbessern oder suchen in erhobenen Daten nach konkreten Erklärungen. Andere wiederum sind an einem bestimmten Zielgruppensegment interessiert oder möchten ihre Conversion-Rates erhöhen. Dabei gilt grundsätzlich: Eine konkrete Aufgabenstellung trägt wesentlich dazu bei, den Inhalt der Untersuchung zu spezifizieren, Testoptionen zu priorisieren und die beste Lösung zu finden.
- Beziehen Sie alle Beteiligten mit ein: Unternehmen sprechen oft davon, dass eine „organisatorische Fehlausrichtung“ das größte Hindernis beim Implementieren von Verbesserungen ist. Daher ist es sehr wichtig, dass Sie funktionsübergreifende Teams an einen Tisch bringen. So sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Produkt-, Technik- und Marketingabteilung sowie leitende Entscheidungsträger einbezogen werden.
- Achten Sie auf Inklusion: Tests sollten stets mit verschiedenartigen Nutzergruppen durchgeführt werden, denn Vielfalt ist wichtig. Je mehr Sichtweisen in die Tests einfließen, desto besser wird das Produkt. Beim Durchführen von Nutzertests für einen großen internationalen Einzelhändler beispielsweise teilte eine schwarze Studienteilnehmerin mit, dass sie sich von der Website nicht angesprochen fühle, weil dort keine Models abgebildet waren, von denen sie sich repräsentiert sieht. Ein anderer, farbenblinder Teilnehmer konnte einige wichtige Websiteinformationen nicht lesen. Diese Beispiele zeigen: Es ist wichtig, dass Sie bei den Tests auf Vielfalt achten, auch wenn die Nutzergruppe klein ist. Denn je unterschiedlicher die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, desto umfassender die Erkenntnisse. So erreichen Sie letztendlich auch eine größere Gruppe potenzieller Kundinnen und Kunden.