Nutzer, die unter Zeitdruck eine Entscheidung treffen müssen, nehmen oft nur einige wenige Hauptkriterien oder Produktattribute war. Verhaltensforscher Dan Ariely untersucht, was dies für Werbetreibende mit mobilen Websites bedeutet.
Dank unserer mobilen Geräte sind wir oft in einer Situation, in der wir unter Zeitdruck schnelle Entscheidungen treffen und spontaner handeln. Wenn wir den Entscheidungsprozess auf Mobilgeräten genauer untersuchen möchten, sind einige Prinzipien aus der Sozialwissenschaft und vor allem aus Studien über Zeitdruck besonders beachtenswert. Werbetreibende, die sich dieser Prinzipien bewusst sind, können Nutzer in entscheidenden Momenten besser erreichen und sie bei der Kaufentscheidung unterstützen.
Es ist offensichtlich, dass sich das Onlineverhalten der Nutzer von Mobilgeräten sehr von dem der Laptopnutzer unterscheidet – schon allein deshalb, weil das Mobilgerät auch unterwegs immer in Reichweite ist.
Aus der Perspektive der Verhaltensforschung sind die Momente, in denen Nutzer unterwegs nach ihren Mobilgeräten greifen, oder die "entscheidenden Momente", wie Google sie nennt, nicht unerheblich für den Kaufprozess. In solchen Situationen treffen Nutzer oft Entscheidungen, während sie mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen, z. B. unterwegs eine Anfahrtsbeschreibung suchen oder Informationen zu Produkten abrufen (etwa beim Einkauf im Supermarkt).
Um das mobile Nutzerverhalten zu verdeutlichen, vergleichen wir zwei Situationen, in denen Reisende ein Hotelzimmer buchen möchten. Da ist einmal Robert, der Hotelangebote auf seinem Smartphone vergleicht, aber nicht unter Zeitdruck steht, und zum anderen Thomas, der es eilig hat und von unterwegs auf sein Smartphone zugreift.
Robert hat es sich zu Hause auf seiner Couch gemütlich gemacht. Der Fernseher läuft und während er nebenbei mit seinem Hund spielt, greift er nach seinem Smartphone, um für seine Geschäftsreise in der kommenden Woche ein Hotelzimmer auszusuchen. Er nimmt sich Zeit, um die unterschiedlichen Hotelangebote und die Vorteile der einzelnen Hotels genau zu vergleichen. Er erwägt, eine längere Anfahrt zum Konferenzzentrum in Kauf zu nehmen, dafür aber Punkte bei seiner üblichen Hotelkette zu bekommen, die ein Nichtraucherzimmer mit Doppelbett und einen Fitnessraum anbietet.
Thomas nutzt auch sein Smartphone, um ein Hotel zu buchen, allerdings befindet er sich am Flughafen in Wien. Er hat den letzten Anschlussflug verpasst und muss nun ein Hotelzimmer für die Nacht buchen. Er hofft, eines der letzten verfügbaren Hotelzimmer zu bekommen, muss aber zunächst seiner Frau Bescheid geben, damit sie die Kinder am nächsten Morgen zum Kindergarten bringen kann. Außerdem muss er schnell seine Firma anrufen, um eine Besprechung abzusagen, die für den nächsten Morgen angesetzt ist. Weil Thomas unter Zeitdruck steht, ist er nur bedingt aufnahmefähig, konzentriert sich bei der Suche also nur auf das seiner Meinung nach wichtigste Merkmal – die Entfernung des Hotels vom Flughafen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er das erstbeste Hotel in der Nähe wählt, das ein Zimmer frei hat.
Die Auswirkung von Zeitdruck auf das Nutzerverhalten verstehen
Wenn wir unter Zeitdruck stehen, also für eine bestimmte Aufgabe mehr Zeit brauchen, als wir zur Verfügung haben, empfinden wir die Situation als stressig. Als Reaktion auf diesen Stress haben wir eine eingeschränkte Wahrnehmung, d. h. wir bündeln unsere Konzentration auf die Erfüllung der Aufgabe und ignorieren gleichzeitig störende Einflüsse in unserer Umgebung.
Im Rahmen einer Studie wurden verschiedenen Personen Beschreibungen von dreißig erfundenen Automarken vorgelegt. Sie sollten einschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie eines der Autos kaufen.1 Jedes Auto wurde anhand von fünf Merkmalen beschrieben. Die Personen, die unter Zeitdruck gesetzt wurden, beachteten eher die negativen Attribute und ließen diese bei der Auswahl viel stärker ins Gewicht fallen. Statt sich auf die vielen guten Merkmale eines Produktes zu konzentrieren, reicht Nutzern unter Zeitdruck oft bereits ein schlechtes Produktattribut, um sich dagegen zu entscheiden.
"Zeitdruck schränkt die Konzentrationsfähigkeit von Nutzern so ein, dass Werbetreibenden oft nur ein kurzer Augenblick bleibt, um ihr Angebot zu präsentieren."
Eine ähnliche Studie, in der Personen gebeten wurden, sich für eine Wohnung zu entscheiden, kommt zum gleichen Ergebnis:2 Statt alle der für die Wohnungssuche entscheidenden Kriterien zu überdenken (z. B. Quadratmeterzahl, Zustand und Fahrtdauer zur Arbeit), konzentrierten sich die Testpersonen, die unter Zeitdruck standen, fast ausschließlich auf die Fahrtdauer zur Arbeit und ließen die anderen Komponenten außen vor.
Hier ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Zeitdruck eine einschränkende Wirkung auf unsere Wahrnehmung hat: Militärangehörige, die unter Zeitdruck standen, werteten weniger Informationen aus und meldeten U-Boote in der Nähe somit nicht zuverlässig.3
Die Auswirkung von Zeitdruck auf den Entscheidungsprozess bei der Verwendung von Mobilgeräten
Um diese Theorien auf mobile Werbung anzuwenden, sehen wir uns ein weiteres Beispiel von Robert und Thomas an. Beide möchten einen neuen Duschkopf kaufen. Robert scheint in unseren Beispielen gute Karten zu haben, denn er befindet sich wieder auf dem Sofa im Wohnzimmer und plant die Badrenovierung, die er in drei Monaten angehen möchte. Auf seinem Smartphone sucht er nach Duschköpfen in matter Nickeloptik mit Massagefunktion und verschiedenen Möglichkeiten zur Anbringung. Er nimmt sich Zeit, um die Rezensionen für die Modelle, die seinen Kriterien entsprechen, zu lesen und zu prüfen, ob sie zurzeit verfügbar sind. Noch hat er nicht beschlossen, ob er den Duschkopf online bestellen oder im Laden aussuchen möchte, aber er sammelt bereits wichtige Informationen, die letztendlich seine Entscheidung beeinflussen werden. Er ist entspannt und kann somit einen gut durchdachten Entschluss fassen – vorausgesetzt, er hat ausführliche und verlässliche Produktbeschreibungen, die ihm bei der Kaufentscheidung hilfreich sind.
Gleichzeitig steht Thomas im Baumarkt in der Abteilung für Badzubehör und hat es eilig. Heute Nachmittag verlegen die Handwerker in seinem Bad die Rohre, sodass Thomas sich so bald wie möglich für einen neuen Duschkopf entscheiden muss. Er vergleicht zwei Modelle aus Chrom zur seitlichen Befestigung. Wie wir bereits gesehen haben, nehmen wir unter Zeitdruck weniger Eindrücke aus unserer Umgebung auf. Also konzentriert sich Thomas bei seiner Entscheidung wahrscheinlich auf ein einziges Kriterium, statt auch noch andere, komplexere Merkmale des Produkts zu berücksichtigen. Thomas mag hohen Wasserdruck beim Duschen, deshalb greift er zum Smartphone, um anhand der Produktrezensionen festzustellen, welcher der beiden Duschköpfe mehr Wasserdruck bietet. Thomas hat mit ziemlicher Sicherheit weniger Spaß beim Einkaufen und möchte nicht allzu viel Zeit damit verbringen. Wenn ihm eines der Produkte geeigneter erscheint, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass er seine Meinung noch einmal ändert. Er wünscht sich kurze, prägnante Produktbeschreibungen, damit er eine informierte Entscheidung treffen und den Kauf so schnell wie möglich abschließen kann.
Was bedeutet das für Werbetreibende?
Werbetreibende müssen sich in die Situation ihrer potenziellen Kunden beim Einkauf hineinversetzen: Wo befinden sie sich, welches Gerät verwenden sie und wie fühlen sie sich in diesem Moment? Sie sollten sich aber bewusst machen, dass auch der Faktor Zeitdruck eine wichtige Rolle spielt, vor allem, wenn Nutzer unterwegs ihr Smartphone verwenden und kurzfristig Kaufentscheidungen treffen müssen. Denn Zeitdruck schränkt die Konzentrationsfähigkeit von Nutzern so ein, dass Werbetreibenden oft nur ein kurzer Augenblick bleibt, um ihr Angebot zu präsentieren.
Wir nehmen uns nicht die Zeit, eine ganze Reihe angebotener Optionen und Produktattribute durchzulesen, wenn wir in Eile sind. Wenn Werbetreibende ihren potenziellen Kunden die wichtigsten Produktmerkmale übersichtlich präsentieren, unterstützen sie sie bei der Kaufentscheidung.
Durch den Trend zur mobilen Suche ist es wichtiger denn je, mit einer übersichtlichen Produktpalette präsent zu sein. Werbetreibende sollten also in den Markenaufbau investieren und letztendlich ihr Produkt bzw. ihre Werbebotschaft dort platzieren, wo Nutzer in den entscheidenden Momenten ihre Entscheidungen treffen.
Dan Ariely ist Professor für Psychologie und Verhaltensökonomie an der renommierten Duke University, ist Gründungsmitglied des Center for Advanced Hindsight, Co-Creator der Dokumentation "(Dis)Honesty: The Truth About Lies" und dreimaliger New York Times-Bestsellerautor. Er hat unter anderem die folgenden Bücher veröffentlicht: "Denken hilft zwar, nützt aber nichts", "Fühlen nützt nichts, hilft aber", "Die halbe Wahrheit ist die beste Lüge" und "Ist doch logisch!". Besuchen Sie seine Website unter www.danariely.com.