Die globale Pandemie hat unser Verhalten und das Miteinander maßgeblich verändert. Gut zu beobachten sind diese Veränderungen auf YouTube: Die Videoplattform ist voller Beispiele für den kreativen Umgang mit der Ausnahmesituation (wie der Slow-Living-Trend oder der Anstieg virtueller Produktlaunches) und wurde im vergangenen Jahr intensiver genutzt als jemals zuvor. Was wir vom Nutzerverhalten lernen können und welche Trends die Pandemie überdauern werden, diesen Fragen ist ein Team von YouTube-Analysten nachgegangen. Ihre Antworten haben sie im YouTube Culture & Trends Report zusammengefasst.
Untersucht haben sie die Zuschauerzahlen, Inhalte und kreativen Trends, die sich im vergangenen Jahr weltweit herauskristallisiert haben. Vieles deutet auf eine entscheidende Erkenntnis hin: Online-Video ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil im Leben vieler Nutzenden avanciert, weil es ein Gefühl der Verbundenheit schafft.
Es gibt aber noch drei weitere, wichtige Erkenntnisse.
Erkenntnis 1: Live- und Simultanübertragungen vermitteln den Menschen ein Gemeinschaftsgefühl
Als Länder auf der ganzen Welt in den Lockdown gingen, verschwanden schlagartig die kleinen Begegnungen, die den Menschen das Gefühl von Zusammengehörigkeit geben. Der Plausch mit einem Fremden auf der Hochzeit einer gemeinsamen Freundin, die Ausgelassenheit mit anderen Fans beim Spiel der Lieblingsmannschaft – all das war plötzlich nicht mehr möglich.
Es überrascht daher nicht, dass die Menschen sich Online-Videos zuwandten, um diese Lücke zu füllen. Das gemeinsame Videoerlebnis, ob physisch oder in der virtuellen Welt, intensiviert das Erleben, gibt ihm eine gewisse Unmittelbarkeit und verstärkt das Gefühl der Verbundenheit.
Dieser Trend spiegelte sich in einem rasanten Anstieg von Livestream-Events wider, weil Zuschauerinnen und Zuschauer nach Möglichkeiten suchten, gemeinsam etwas zu erleben. Tatsächlich haben 76 Prozent der Deutschen in den letzten zwölf Monaten einen Livestream angeschaut1, darunter Ereignisse wie Hochzeiten auf dem kollektiven koreanischen Kanal Wootso und die Landung des NASA-Rovers Perseverance auf dem Mars, die mehr als zwei Millionen Menschen zeitgleich sahen und die rund 22 Millionen Wiedergaben insgesamt verzeichnet.2
Gemeinsam Videos zu sehen, ob physisch oder virtuell, intensiviert das Erleben, schafft Unmittelbarkeit und verstärkt das Gefühl der Verbundenheit.
Auch namhafte Musikerinnen und Musiker zogen mit improvisierten Auftritten ein größeres Publikum an als je zuvor. Zu den Top-Musik-Livestreams auf YouTube gehörte unter anderem die Brasilianerin Marilia Mendonca, die mit ihren Wohnzimmer-Sessions den YouTube-Rekord für Musik-Livestreams mit 3,3 Millionen gleichzeitigen Zuschauerinnen und Zuschauern brach.3 Der diesjährige Eurovision-Song-Contest-Livestream generierte sogar zehn Millionen Views weltweit und war der Most Trending Livestream in Deutschland.
Ein anderes Musik-Phänomen ist Lo-Fi. Das sind einfach arrangierte träge Hip-Hop-Beats, die beim Arbeiten oder Entspannen gestreamt werden. YouTuberin Lofi Girl zieht besonders viele Nutzende in ihren Bann: Ihr Kanal hat 930 Millionen Streams generiert.4 Andere haben aus dem Trend ein lokales Phänomen gemacht, zum Beispiel die Merkelwave.
Doch Videos müssen nicht unbedingt live sein, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen. Simultane Inhalte, bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer bei vorab aufgezeichneten Aktivitäten ihrer Lieblings-Creators mitmachen können, schaffen ähnliche Gemeinschaftserlebnisse. Sogenannte „With me“-Videos zum Beispiel erreichten 2020 weltweit über zwei Milliarden Views.5 Mit mir putzen, mit mir dekorieren oder mit mir lernen sind nur ein paar Beispiele dafür, wie Videos durch gemeinsame Aktivitäten Gemeinschaft herstellen. Content Creator Jonas Ems bot sogar an, ein Valentinsdate mit ihm zu teilen.
Selbst wenn die Zuschauer nicht live dabei sind oder simultan mitmachen, können Videos helfen, private in soziale Erlebnisse zu verwandeln. Die Menschen streamen mehr als je zuvor und 54 Prozent der Deutschen nutzen für den gemeinsamen YouTube-Abend den Fernseher.6
Hinter diesen Beispielen steckt die Idee, mit Echtzeit-Aktionen aus einem persönlichen Kontext heraus ein geselliges Ereignis zu machen. Das schafft ganz neue Möglichkeiten, Zielgruppen in ihrem jeweiligen Online-Umfeld zu erreichen und auf ihre wachsenden Bedürfnisse zu reagieren.
Erkenntnis 2: Da die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem schwinden, suchen Zuschauer:innen nach authentischen Videos
Die Pandemie hat unsere Wohnungen in Büros, virtuelle Schulen und Kindertagesstätten verwandelt. Es gab keine klare Trennung mehr zwischen unserem öffentlichen und privaten Leben. Positiver Nebeneffekt: Die Nutzerinnen und Nutzer verspürten weniger Druck, ein unrealistisches Bild von ihrem Alltag zu zeichnen – und immer mehr erwarteten diese Authentizität auch von ihren Lieblings-Creators und den von ihnen produzierten Inhalten.
Als sich die Late-Night-Talkshows an die Pandemie anpassten, begannen viele der größten Fernsehstars wie YouTuber zu wirken – und entsprechend entwickelten sich ihre Abrufzahlen nach oben. Die Daily Show, eine US-amerikanische Nachrichtensatiresendung, verzeichnete im Jahr 2020 einen Anstieg der YouTube-Zuschauenden um 45 Prozent.7 In Indien erlebte Schach einen regelrechten Boom, als Comedian Samay Raina begann, Schachpartien zu streamen. Vom Stereotyp des elitären Intellektualismus befreit, brachte es der Schachsport in weniger als neun Monaten auf über 330 Millionen YouTube-Views allein in Indien.8 Weltweit haben sich die Aufrufe von Inhalten mit Schachbezug im letzten Jahr mehr als verdoppelt.9 Authentizität funktioniert übrigens auch in Deutschland: In den am schnellsten wachsenden Kanälen wie zum Beispiel Kaulmors und Freds Revier erzählen die Macher Alltagsgeschichten in ihrem lokalen Dialekt.
Die Gewinner in der Welt der Videos sind diejenigen, die es schaffen, die vierte Wand zu durchbrechen und die Nähe zu ihrem Publikum herzustellen.
Die wachsende Zahl der Nutzerinnen und Nutzer, die ihren eigenen Content generieren, eröffnet neue Möglichkeiten, sie in ihrer Sprache zu adressieren und so eine Verbundenheit herzustellen. MrBeast, der Top-YouTuber des Jahres 2020 in den USA, erreichte zum Beispiel mehr als eine Milliarde Videoaufrufe in nur einem Monat.10 Zwar sind seine Themen sehr ausgefallen, doch sein stärkstes Pfund ist das authentische Auftreten, das ihm das Wohlwollen seiner Fans sichert und mit dem sich die Zuschauenden identifizieren können.
In einer Welt, in der die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem schwinden, sind die Gewinner in der Welt der Videos diejenigen, die es schaffen, die vierte Wand zu durchbrechen und mit authentischen Inhalten die Nähe zu ihrem Publikum herzustellen.
Erkenntnis 3: Immersive Videos fördern die Zusammengehörigkeit
Multisensorische Medien, die mehrere Sinne der Zuschauenden ansprechen, sind beliebter denn je. Online-Videos lassen die hergebrachten Erwartungen an audiovisuelle Medien zunehmend hinter sich.
Neben ASMR-Videos sind auch andere sensorische Formate wie Audio-First- oder First-Person-Formate aufgetaucht, wie zum Beispiel Video-Podcasts und filmische First-Person-Videos.
Der Begriff „First-Person-Video“ ist eigentlich aus dem Gaming-Bereich entlehnt, wo die First-Person-Perspektive dabei hilft, ein Gefühl des Eintauchens in die Handlung oder Geschichte zu erzeugen. Ein Beispiel dafür ist Dream SMP, auch „Minecraft Hamilton“ genannt, eine von Spielern aufgebaute Welt und ein Rollenspiel-Server mit einer improvisierten Handlung, in der nicht-professionelle Erzählerinnen und Erzähler die Hauptrolle spielen. Videos, die mit Minecraft zu tun haben und „Dream SMP“' im Titel tragen, haben seit Mai 2020 über zwei Milliarden Aufrufe angesammelt und sind damit das beliebteste Unterhaltungsphänomen der letzten sechs Monate.11
Multisensorische Medien sind beliebter denn je, Online-Videos lassen die hergebrachten Erwartungen an audiovisuelle Medien hinter sich.
Bei Video-Memes und Trends mitzumachen hat sich ebenfalls zu einer beliebten Form der immersiven Unterhaltung in sozialen Medien entwickelt. Es gibt Tanztrends wie die Jerusalema-Challenge, die in Südafrika begann und unter den Mitarbeitenden des Gesundheitswesens überall zum Hit wurde – von Schweden, wo sie auf ihrem Weg über 600 Millionen Views sammelte, bis nach Deutschland und Österreich. Erst zu einem Meme und dann zu weltweiter Popularität brachte es ein Seemannslied aus dem 19. Jahrhundert, das seine Urheber, eine weniger bekannte britische Folkgruppe, quasi über Nacht berühmt machte. Mittlerweile gibt es den Song sogar in dieser deutschen Karnevalsversion. Selbst anderen beim Mitmachen zuzusehen, schafft ein Gefühl des Miteinanders.
All diese Trends sprechen für die Fähigkeit digitaler Videos, Menschen miteinander zu verbinden und teilhaben zu lassen. Und obwohl sie vielleicht durch unsere Bedürfnisse während der Pandemie angespornt wurden, deutet ihre Popularität darauf hin, dass sie uns erhalten bleiben werden.
Das menschliche Bedürfnis nach Verbindung
Sich zugehörig zu fühlen ist ein menschliches Grundbedürfnis. In der Pandemie sind Online-Videos für viele sehr schnell zu jenem unverzichtbaren Medium geworden, das dieses Bedürfnis befriedigt.
Ein Gefühl der Gemeinschaft, der Zugehörigkeit und Teilhabe zu schaffen, darin besteht für Marken die Möglichkeit, ihrer Zielgruppe näherzukommen und eine Bindung aufzubauen. Am besten durch kreative, unterhaltsame und relevante Inhalte.