Erstklassige Erkenntnisse sind die Grundlage für einzigartige kreative Arbeit. Aber wodurch zeichnet sich eine bedeutende Erkenntnis aus? In der digitalen Welt neigen wir zu der Ansicht, dass Erkenntnisse untrennbar mit Daten verknüpft sind. In der Welt der Werbung sehen Agenturen jedoch über reine Messdaten hinaus und erlangen Erkenntnisse aus zahlreichen Quellen. Für Forscher, Planer, Kreativexperten und Markenexperten bildet eine brillante Erkenntnis die Grundlage für eine hervorragende Kampagne. Doch selbst für die klügsten Köpfe der Branche ist es schwierig herauszufinden, was eine wertvolle Erkenntnis ausmacht und wie sie sich finden lässt. In diesem Artikel bitten wir Brancheninsider, uns zu erzählen, welche Rolle Erkenntnisse bei ihrer Arbeit spielen.
Erkenntnisse bringen Klarheit, sie müssen jedoch nicht tiefgründig sein,sagt Andy Davidson, Leiter von UK Practice bei der internationalen Markenberatungs-Agentur Flamingo.
TI: Wie nutzen die Planer in Ihrer Agentur Erkenntnisse?
AD: Erkenntnisse bringen Klarheit, erweitern den Horizont, helfen uns zu verstehen und inspirieren uns zu großen Leistungen. Für mich ist eine Erkenntnis ein Gefühl – man weiß es einfach, wenn man es fühlt. Hier ist die Definition, wie wir sie bei Flamingo verwenden: „Eine Erkenntnis ist eine Unterbrechung in einem Diskurs.“ Eine gute Erkenntnis schafft eine völlig neue Denkweise. Das hat z.B. die Kampagne von Dove für Real Beauty erreicht – sie gestattete, etwas auszudrücken, was sich bis dahin nicht ausdrücken ließ.
TI: Wir hören oftmals Wendungen wie „tiefe Erkenntnisse“ oder „eine prägnante Erkenntnis“. Ist an dieser Schlussfolgerung etwas falsch?
AD: Erkenntnisse müssen nicht tief sein. Das gilt nur, wenn man glaubt, nach Antworten suchen zu müssen, die tief im Unterbewusstsein des Kunden verborgen sind und sich nur durch Anschließen von Elektroden und mit neurowissenschaftlichen Geräten ans Licht bringen lassen. Ich finde, es ist viel sinnvoller, unübliche Wege zu gehen. Man sollte das Spektrum erweitern, also z. B. nicht mehr mit dem Zielpublikum reden, sondern viel lieber mit jemandem, den man niemals in Erwägung gezogen hätte. Nur so erhält man mal eine andere Sichtweise, einen anderen Blickwinkel.
Erkenntnisse sind eher vom Wechselspiel abhängig als von Erfindungen,erklärt Marktforschungsexperte John Griffiths.
TI: In Ihrem Unternehmen Electric Landing verwenden Sie eine interessante Metapher über Erkenntnisse. Könnten Sie uns die erklären?
JG: Wenn ich dies den Leuten erkläre, lasse ich sie normalerweise eigene Kaleidoskope bauen, um ihnen zu zeigen, wie es funktioniert. Es besteht ein Wechselspiel zwischen dem Okular (dem Vermarkter) und dem Kunden (den Glasperlen). Der Marktforscher spielt dabei die Schlüsselrolle, indem er mithilfe der Spiegel die Perlen herausfiltert (um die Stichprobe zu erweitern). Der Punkt dieser Analogie ist, dass Erkenntnisse nicht von uns geschaffen werden; wir sind der Spiegel, nicht die Linse. Es funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten, wenn sie miteinander interagieren. Und man muss über die Mentalität des Kunden genauso gut Bescheid wissen wie über die des Verbrauchers.
In einer Medien- und Kommunikationsagentur bilden Erkenntnisse die Basis für die Implementation,so David Wilding, Head of Planning bei PHD.
TI: Was denken Sie, aus Sicht einer Medienagentur, über Erkenntnisse?
DW: Ich habe einmal mit einem sehr klugen Mann, der aus der Werbeplanung kam, zusammengearbeitet. Er sagte, was auch immer du versuchst zu planen, reduziere es auf vier Dinge: Was ist dein Anliegen? Was ist deine Erkenntnis? Was ist deine Idee? Und wie sieht deine Umsetzung aus? Es wird deutlich, dass die Erkenntnis eine wichtige Rolle spielt, indem sie die Lücke schließt zwischen dem Anliegen und der Idee. Bei PHD haben wir diesen Ansatz folgendermaßen geändert: Welchen Hintergrund gibt es? Was haben wir gemacht? Und welche Ergebnisse haben wir erzielt? Wir haben also im Wesentlichen die „Erkenntnis“ umbenannt in „warum wir getan haben, was wir getan haben“. Wenn die Erkenntnis bei der Erklärung helfen kann, warum wir das tun, was wir tun, dann ist es eine gute Erkenntnis.
TI: Spielen Daten für Sie bei diesem Prozess eine Rolle?
DW: In einer Medienagentur hat man es mit zahlreichen Daten zu tun. Man ist von ihnen umgeben. Daher setzen wir gewöhnlich dort an.
Es gibt zwei Denkrichtungen in Bezug auf Erkenntnisse - die Kreationisten und die Evolutionisten,sagt Caitlin Ryan, Group Executive Creative Director für die Werbeagentur Karmarama.
TI: Wie haben Sie die Nutzung von Erkenntnissen in Ihrem Arbeitsbereich als Kreativexperte erlebt?
CR: Als ich in den 80er Jahren in der Werbebranche anfing, erklärte man mir, eine Erkenntnis sei die Destillation aller Forschungs- und Schreibtischarbeiten zu einem magischen Elixier, das wir Kreativexperten dann nutzen würden, um gute Arbeit zu leisten. Es war eine ziemliche Schwarz-Weiß-Sichtweise. Es herrschte die Meinung vor, dass unsere Kunden vor allem dann zuversichtlich sind, wenn wir die Erkenntnis in einer sehr konkreten Form erhalten, von der die Kreativexperten nicht abweichen sollten.
TI: Und wie denkt man heute darüber?
CR: Es gibt verschiedene Arten von Kreativexperten. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass man entweder ein Kreationist oder ein Evolutionist ist. Kreationisten gelangen zu einer Erkenntnis und entwickeln daraus ein perfektes Konzept. Evolutionisten – vor allem im digitalen Bereich – nutzen Erkenntnisse aus Daten, und die kreative Arbeit entwickelt sich im Laufe der Zeit. Im Kreationismus betrachtet man Erkenntnisse als in Stein gemeißelt und unveränderbar. Für Evolutionisten auf der anderen Seite ist eine Erkenntnis wechselhafter und flexibler. Kreationisten und Evolutionisten kommen häufig zu einem ziemlich ähnlichen Ergebnis, aber die Erkenntnisse entstammen einer sehr unterschiedlichen Methodologie.
TI: Wenn Sie bestimmen müssten, inwiefern sich die Ergebnisse der beiden Ansätze unterscheiden, was würden Sie sagen?
CR: Ich denke, das traditionellere Konstrukt von Erkenntnissen führt zu dem was Marken sagen. Meiner Ansicht nach führt eine Erkenntnis, die flexibler und wechselhafter ist zu Werbung, die zeigt, wie sich eine Marke verhält.
Bei der Entwicklung einer nützlichen Erkenntnis sollten menschliche Bedürfnisse berücksichtigt werden,erklärt Nick Hirst, Head of Planning bei der Kreativagentur Dare.
TI: Wo liegt das Problem bei der Art und Weise, wie Erkenntnisse bisher genutzt wurden?
NH: Die Art und Weise, wie wir Erkenntnisse bisher nutzen, ermöglicht keine Komplexität oder Veränderung – wir nutzen sie quasi wortwörtlich. Ich denke jedoch, dass wie man sich fühlt und das eigene Verhalten sich sogar über den Kauf eines einzelnen Produktes verändert.
TI: Wie sieht also die Alternative aus?
NH: Ein weitaus besseres Modell kommt aus der Welt der Websites. Es ist sinnvoll, die Bedürfnisse im Hinterkopf zu haben. Nehmen wir beispielsweise die Marke Dove, ja sie hatten eine sehr entscheidende Erkenntnis, gleichzeitig erfüllten sie aber auch ein Bedürfnis: nämlich dass Frauen sich nicht gerne von der Kosmetikindustrie sagen lassen, dass sie nicht dem vorherrschenden Ideal entsprechen. Ein weiterer Punkt ist, dass es ok ist, mehrere Bedürfnisse zu entwickeln und dass wir kein Problem damit haben zu akzeptieren, dass sich Bedürfnisse ändern können - nicht nur im Hinblick auf unterschiedliche Lebensstufen, sondern auch durch den Kauf eines Produkts.
Erkenntnisse lassen sich gut im „sonderbar Normalen“ finden,erklärt Tracey Follows, Chief Strategy Officer bei der Kommunikationsagentur JWT in London.
TI: Wie würden Sie eine Erkenntnis definieren?
TF: Für mich ist eine Erkenntnis etwas, was „sonderbar normal“ ist. Wenn wir etwas „sonderbar Normalem“ begegnen, kommen wir erst einmal aus dem Konzept, da unser Gehirn versucht es zu verstehen. Es läd zu Interpretationen ein. Wir wissen, dass es irgendwie vertraut ist, aber es ist auch gleichzeitig fremd. Lewis Carroll ist das wunderbar mit Alice im Wunderland gelungen. Ihre Abenteuer sind keine erschreckend offensichtlichen Feststellungen – sie sind eine Reihe von Anomalien, die dein Gehirn dazu verleiten, sie auseinanderzunehmen, um den Sinn dahinter zu finden.
TI: Wie geschehen Erkenntnisse?
TF: Kommunikationsstandards vermitteln uns das Bild, dass eine Erkenntnis eine Art Geistesblitz ist, der innerhalb einer Nanosekunde passiert. Aber ich denke nicht, dass das der Fall ist. Ich glaube, eine Erkenntnis hat weniger etwas mit Offenbarung, sondern mehr mit Realisierung zu tun. Ich denke, Erkenntnisse geschehen oder funktionieren viel langsamer. Es ist eine durchdachte und überlegte Angelegenheit.