Schon heute findet man intelligente Sprachassistenten in immer mehr Lebensbereichen. Dabei werden Voice-assisted Interfaces nicht nur für den Abruf von Informationen, zur Gerätesteuerung oder zur Unterhaltung genutzt, sondern auch für den Einkauf. In Zusammenarbeit mit Google und dem Handelsverband Deutschland (HDE) wirft Deloitte in der Studie "Beyond Touch – Voice Commerce 2030" einen Blick in die Zukunft und untersucht, ob Voice Commerce das Potenzial hat, den Handel zu revolutionieren. Im Zuge der Studie wurden vier mögliche Szenarien erarbeitet, die die Eckpunkte der Voice-Commerce-Entwicklung bis 2030 aufzeigen. Im Gespräch mit Think with Google geben Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer HDE, und Egbert Wege, Leiter Strategy bei Deloitte, einen Einblick in die zentralen Entwicklungen und welche Chancen und Herausforderungen diese für Händler und Hersteller mit sich bringen.
Think with Google: Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die Zukunft werfen: Wie wird das Einkaufserlebnis 2030 aussehen?
Stefan Genth: Die größte Entwicklung wird sein, dass der Kaufabschluss über Sprachsteuerung wegen seiner vielen Vorteile zu einer Selbstverständlichkeit wird. Die hohe Bedienungsfreundlichkeit wird dazu führen, dass der Kunde Voice intuitiv für sich nutzen und dann auch voraussetzen wird. Dennoch werden die Kunden im Jahr 2030 weiterhin sowohl offline als auch online shoppen. Attraktive Einkaufsmöglichkeiten und -erfahrungen sind auch zukünftig starke Argumente für den stationären Einkauf.
Egbert Wege: Voice Commerce wird an Bedeutung gewinnen und sich stark verbreiten. Laut unseren Hochrechnungen werden weltweit pro Woche zwei Milliarden Voice-Anfragen gestellt. Bis zum Jahr 2022 wird der globale Markt für Smart Speaker jährlich um mehr als 30 Prozent wachsen. Anstatt Sprachassistenten über Smartphones oder andere Hardware zu bedienen, werden die Rezeptoren in anderen Dingen verbaut – zum Beispiel in einem Brillengestell, einer Uhr oder einem Stift. Voice wird nichtsdestotrotz nicht der einzige Vertriebskanal sein.
Think with Google: Noch steckt Voice Commerce bei uns in Europa in den Kinderschuhen. Wie realistisch ist es, dass dieser Trend den europäischen Handel revolutionieren wird?
Wege: Wir geben am Ende unserer Studie folgende Prognose: Voice wird auf jeden Fall wachsen – wie stark, das hängt von der Integration mit anderen Technologien ab. Unseren Berechnungen zufolge werden 26 bis 37 Prozent der E-Commerce-Umsätze in Europa bis 2030 auf Voice Commerce entfallen.1 Damit ist das Potenzial einer Revolution für den Handel definitiv gegeben.
Think with Google: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Veränderungen und Herausforderungen, auf die der Handel sich einstellen muss?
Genth: Generell sollte jeder Händler sicherstellen, dass er in der digitalen Welt vorhanden ist. Es ist wichtig, innerhalb der gesamten Customer Journey online auffindbar zu sein. Die modernen Technologien dürfen jedoch nicht dazu führen, dass der Kontakt mit den Kunden verloren geht. Als Händler muss man sich fragen: Wie verbinde ich online und offline passend zu meinem Geschäft? Die eigene Warenwirtschaft digital aufzubereiten, ist das A und O. Gegebenenfalls helfen hier Kooperationen: Sollten sich Händler mit anderen Händlern oder Technologieanbietern zusammenschließen, ergeben sich Synergien und Vorteile beim Einkauf digitaler Dienstleistungen.
Wege: Eine weitere Herausforderung besteht darin, stark habitualisiertes Einkaufsverhalten zu durchbrechen. Heutzutage weiß jeder, in welchem Geschäft oder bei welchem Anbieter welches Produkt zu kaufen ist. Konsumenten kaufen in der Regel nach festen Mustern ein. Wesentlich für den Erfolg wird sein, mithilfe von sprachgesteuerten Assistenzsystemen einen so großen Mehrwert zu bieten, dass Verbraucher ihr erlerntes Einkaufsverhalten ändern. Händler sollten ihren Kunden also etwas so Wertvolles bieten, dass sie bereit sind, ihre Gewohnheiten zu ändern.
Think with Google: Welche Branchen sollten sich besonders mit der neuen Entwicklung auseinandersetzen?
Genth: Alle Branchen werden betroffen sein. Wir erwarten vor allem eine starke Durchdringung in den Bereichen Unterhaltungselektronik, Fashion und Möbel. Auch Lebensmittel werden vermehrt über die Sprachsteuerung eingekauft, stellen aber wegen ihrer speziellen Kriterien wie Frische und Qualität eine Herausforderung dar. Gleichzeitig ist die Handelsdichte bei Lebensmitteleinzelhändlern sehr hoch und Supermärkte sind in der Regel für jeden schnell zu erreichen. Ich kann mir vorstellen, dass Konsumenten deshalb ihre Lebensmittel über Voice bestellen und sie dann zum Beispiel auf dem Nachhauseweg im nächstgelegenen Laden selbst abholen werden.
Wege: Wir gehen davon aus, dass Lebensmittel und Produkte zur Körperpflege am häufigsten über Voice gekauft werden. Sollte die Integration von sprachbasierten Interfaces mit anderen Technologien in der Zukunft hoch ausfallen, könnten die beiden Produktbereiche bis 2030 knapp 50 Prozent der E-Commerce-Umsätze ausmachen.
Think with Google: Welche Handlungsempfehlungen sind Ihrer Meinung nach absolut erfolgskritisch? Wie muss der Handel jetzt reagieren?
Wege: Meine Empfehlung lautet ganz klar: Setzen Sie jetzt auf Voice. Ich beobachte immer wieder Händler, die zwar den aktuellen Trend mitverfolgen, aber sich sagen: "Ach, warten wir erst mal. Das steckt ja noch in den Kinderschuhen und hat noch keine Relevanz für uns." Dabei sollen sie sich jetzt die Fragen stellen: Was wollen wir machen? Was ist unsere digitale Vision? Wie stark wollen wir uns im digitalen Umfeld positionieren? Welche Rolle kann Voice Commerce dabei spielen? Jeder Marktteilnehmer muss seine eigene passende Strategie entwickeln, um seine Potenziale optimal auszuschöpfen.
Think with Google: In der Studie wurden vier Szenarien entwickelt, die aufzeigen, wie sich Voice Commerce bis 2030 entwickeln könnte. Können Sie uns diese unterschiedlichen Szenarien erklären?
Wege: Die vier Szenarien unterscheiden sich, je nachdem, wie stark Marktteilnehmer miteinander kooperieren und wie die Integration mit anderen Technologien ausfällt. Insgesamt zeigen sie Eckpunkte der Voice-Entwicklung und unterscheiden sich in den Risiken und Potenzialen für Händler sowie in ihrem Nutzen, den sie für den Kunden haben.
Ich möchte zwei Szenarien beispielhaft aufgreifen: Bei "Die Welt der Aggregatoren" herrschen geschlossene, technologisch integrierte Systeme vor. Aus diesem Grund kooperieren Marktteilnehmer nicht miteinander. Stattdessen kontrollieren einige große Technologiefirmen den Markt, agieren als Gatekeeper und beeinflussen Angebot und Nachfrage maßgeblich. Im Gegensatz dazu stellt "Das neue Internet" den besten Fall dar und basiert auf einem offenen System, bei dem die Marktteilnehmer kollaborieren: Voice wird mit anderen Technologien zu einer Plattform mit offenen Schnittstellen. Das neue Internet begleitet Kunden in allen Lebenslagen.
Think with Google: Gibt es noch eine Nachricht zum Schluss, die Sie Händlern mitgeben möchten?
Wege: Die Notwendigkeit zu handeln, ist heute schon gegeben. Wir fordern Händler auf, eine für sie individuell passende Strategie zu entwickeln. Denn sicher ist: Der Markt für sprachbasierte Assistenzsysteme und Voice Commerce wird wachsen und uns in der Zukunft stärker begleiten – nicht nur in den USA, sondern auch hier in Europa.
Wie liefern Händler in den USA und in Deutschland Nutzern bereits heute mithilfe von Google Assistant einen Mehrwert? Diese Frage beantwortet Industry Leader Retail bei Google Christian Bärwind im Interview. Er zeigt außerdem auf, wie die typische Customer Journey im Jahr 2025 aussehen könnte.
Zur Studie
Die Studie beruht auf gemeinsamen Workshops, die Deloitte 2018 zusammen mit Großhändlern und Teilnehmern von Google durchgeführt hat. Dabei ging es um die Frage, wie die Entwicklung von Voice für den Markt momentan und zukünftig zu bewerten sei. Als Ergebnis wurden vier mögliche zukünftige Szenarien erarbeitet und erörtert.