Vor mehr als 100 Jahren verließ Wilhelm Hunkemöller Deutschland, um in den Niederlanden eine Boutique für Damenunterwäsche und Korsetts zu eröffnen. Dass daraus einmal ein führendes Omnichannel-Unternehmen werden würde, hätte er sich vermutlich damals nicht träumen lassen. Aber Philip Mountford, der Hunkemöller 2009 übernahm, wusste, dass dieser Schritt unumgänglich war, um die traditionelle Orientierung am Kunden zu bewahren.
„Selbst ich tue mich mit den Käufern unserer Tage schwer“, gesteht Mountford. „Einen so radikalen Wandel in der Struktur des Einzelhandels habe ich nie zuvor erlebt.“ Heutzutage haben die Modefans eine riesige Auswahl. Deshalb ist nach Mountfords Auffassung Relevanz am allerwichtigsten: „Man muss eine Leitmarke bleiben.“
In den letzten zehn Jahren haben die Verantwortlichen bei Hunkemöller unter Beweis gestellt, dass sie auch vor bahnbrechenden Umgestaltungen nicht zurückschrecken. Unter anderem haben sie ihre Zielgruppe neu definiert sowie den Daten- und Kundenservice ins Unternehmen integriert. Wir haben mit Mountford und Gijs van Engelen, dem Omnichannel Director der Firma, gesprochen, um mehr zu erfahren.
Die Zielgruppe ändern und die Markenidentität neu definieren
Der erste mutige Schritt von Mountford bestand darin, Hunkemöller auf eine neue Zielgruppe auszurichten: statt auf die Enddreißiger auf jüngere Frauen zwischen 15 und 28 Jahren. „Wenn wir als echte Marke wahrgenommen werden wollen, müssen wir auch als solche agieren. Und dazu gehört es, eine klare Zielgruppe zu haben. So konnten wir uns als Marke für junge Dessousmode definieren und präsentieren. Und das ist letztlich zum treibenden Faktor bei unserer digitalen Transformation geworden.“
Aber auch mit einer klaren Markenidentität ist es nicht immer einfach, im sich ständig wandelnden digitalen Umfeld zurechtzukommen. „Die Kunden von heute sind flexibel und haben eine große Auswahl an Kanälen. Deshalb müssen wir auch Risiken im Hinblick darauf eingehen, wo wir Werbung machen. Wir können nicht von vornherein alles wissen, sondern müssen aus der Praxis lernen.“
Angesichts einer Zielgruppe, die mit sozialen Medien aufgewachsen ist, sind die Verantwortlichen der Dessousmarke dazu übergegangen, das Budget umzuschichten und statt auf TV-Werbung eher auf Werbung in Social-Media-Apps zu setzen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Social-Media-Plattformen wie YouTube schon bald unsere größten Umsatztreiber sein werden, auch wenn die Geschäftszahlen es momentan noch nicht vermuten lassen“, erklärt Mountford.
Die Kunden genau kennen
Das Team von Hunkemöller wollte mehr über seine Zielgruppe erfahren und führte deshalb 2010 eine Untersuchung mit 39.000 Kunden zu den Themen „Zukunft“, „Lebensstil“, „Arbeit“ und „Kaufverhalten“ durch. Anhand der Ergebnisse wurde eine Persona mit Namen „Shero“ (Heldin) erstellt. Für diese ideale Kundin hatte bequemes Kaufen den höchsten Stellenwert. Den Käuferinnen war es wichtig, per Smartphone bestellen sowie den Kauf- und Lieferort auswählen zu können.
Unter Berücksichtigung des „Shero“-Profils entwickelten Mountford und van Engelen eine Strategie, die keinen unmittelbaren Gewinn versprach, aber den Wünschen der Kundinnen gerecht wurde. „Die meisten Unternehmen würden Maßnahmen, die sich finanziell nicht direkt auszahlen, nicht einmal in Betracht ziehen“, räumt Mountford ein, „aber wir haben es getan, um den Kundenbedürfnissen zu entsprechen.“
Als Nächstes wurden eine mobile App und einige besondere Services wie „Click & Collect“ und die Warenrückgabe im Geschäft eingeführt. Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis sich diese Initiativen auszahlten. Aber die gegenwärtigen Geschäftszahlen zeigen, dass sich die Investitionen gelohnt haben.
„Von unseren fünf Millionen aktiven Kunden haben 3,2 Millionen die App heruntergeladen und 80 Prozent unserer Besucher kommen über das Smartphone zu uns. Wir gehen davon aus, dass diese Zahl im nächsten Jahr noch einmal um etwa fünf Prozentpunkte zunimmt“, so Mountford. Außerdem nutzen 44 Prozent der Kunden, die online bestellen, Click & Collect – bei einer Up-Selling-Rate von 32 Prozent. Und 41 Prozent der Retouren aus Online-Käufen werden in den Geschäften zurückgegeben.
Den Kaufprozess personalisieren
Diese Zahlen zeigen auch, dass den Konsumenten – trotz der zunehmenden Digitalisierung – der persönliche Kontakt in den Geschäften nach wie vor wichtig ist. Nichtsdestotrotz besteht eine der größten Herausforderungen für den Modehandel darin, mehr Kunden in die Geschäfte zu bringen. Aus diesem Grund setzte das Team von Hunkemöller auf lokale Kampagnen. 2019 wurden mit einer Gruppe von 30 Geschäften in Deutschland drei verschiedene Tests durchgeführt, um herauszufinden, ob durch Werbung für Online-Besucher mehr Kunden in die Geschäfte geholt werden konnten.
„Die Tests waren sehr nützlich und verschafften uns einen Eindruck davon, was mit lokalen Kampagnen möglich ist“, erklärt van Engelen. „Wir möchten unsere Testgruppe erweitern und die Ausrichtung eingrenzen, um den tatsächlichen Cost per Lead zu berechnen – mit einer Konfiguration, die genau Auskunft über die Conversion-Rate, den durchschnittlichen Bestellwert und die Lead-Generierung in einem bestimmten Geschäft gibt. Auf Grundlage dieser Daten könnten lokale Kampagnen zu einer weiteren Säule in unserem Omnichannel-Marketing werden.“
Die Verantwortlichen des Unternehmens haben sich bewusst dafür entschieden, dass alle Daten im Haus bleiben, um vollen Einblick in den Kaufprozess zu haben. „Künftig wird sich in der Werbung alles um Personalisierung drehen“, so Mountford. „Deshalb haben wir unseren riesigen Datenbestand ausgewertet und anhand von Aspekten wie Standort, Einkaufswert und Einkaufshäufigkeit sechs verschiedene Personas erstellt. Wir haben viel in die dahintersteckende Technologie investiert, um so kundenfreundlich wie möglich zu sein.“
Als Vorreiter muss man lernbereit sein. „Es ist leicht, anderen einfach etwas nachzumachen“, erklärt Mountford. „Aber durch die Fokussierung auf den Kunden konnten wir schon immer etwas bieten, was unsere Mitbewerber nicht haben.“ Dem hätte ganz sicher auch Wilhelm Hunkemöller zugestimmt.
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Beginnen Sie damit, Ihre Zielgruppe zu bestimmen, deren Bedürfnisse herauszufinden und dementsprechend Ihre Marke aufzubauen.
- Warten Sie ab, welche Kanäle und Services von den Kunden bevorzugt werden, und investieren Sie entsprechend.
- Probieren Sie immer wieder etwas Neues aus, um zu sehen, was funktioniert und was nicht.
- Scheuen Sie keine Risiken — alles, was den Kundenwünschen entspricht, lohnt sich.