Sian Davies und Sarah Davies sind die Gründer von The Behavioural Architects und Experten für Entscheidungsfindung und Verbraucherverhalten. Außerdem sind sie unser Agenturpartner für die Google-Studie zu Entscheidungsanalysen. Hier erklären sie, wie sich die Coronalage auf Kaufentscheidungen der Nutzer auswirkt.
In unserer neuen Studie zu Entscheidungsanalysen hat sich gezeigt, dass die Phase zwischen Anreiz und Kaufentscheidung, die sogenannte messy Middle, sehr komplex ist, da den Verbrauchern eine Fülle an Informationen und Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung steht. Durch Corona wird der Entscheidungsprozess zusätzlich erschwert. Um eine Kaufentscheidung treffen zu können, brauchen die Verbraucher daher zusätzliche Orientierung bei der Entscheidungsfindung.
Kaufentscheidungen in Zeiten von Corona
COVID-19 hat bestehende Gewohnheiten und Routinen über den Haufen geworfen. An ihre Stelle sind neue Verhaltensweisen getreten. Gerade die gewaltige Informationsflut im Zusammenhang mit dem Virus nimmt uns in Anspruch und wirkt sich auf viele belastend aus. Auch unser Alltag hat sich von Grund auf verändert – die gewohnte Umgebung ebenso wie der Austausch mit anderen. Immer mehr Leute verbringen mehr Zeit online und suchen verstärkt nach digitalen Lösungen. So liegen Videokonferenzen, Online-Shopping und digitales Bezahlen voll im Trend.
In einer Zeit der Umbrüche und zunehmender Unsicherheit benötigen Verbraucher während der komplexen Entscheidungsphase mehr Unterstützung denn je.
Durch den Einfluss von Corona müssen die Menschen ganz neue Entscheidungen treffen. Auch bei ihren gewohnten Einkäufen sind sie mehr als bisher mit Verknappung und Zeitdruck konfrontiert. Aus diesem Grund fallen jetzt manche Kaufentscheidungen schneller, weil die Verbraucher die Produkte dringend benötigen oder befürchten, dass diese in der nächsten Woche nicht mehr vorrätig sein könnten. Andere Kaufprozesse hingegen sind schwieriger geworden und dauern länger als bisher. Viele müssen mit neuen und für sie ungewohnten Arten des Einkaufens zurechtkommen und überlegen genauer, ob gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für eine neue Anschaffung ist.
In diesen Zeiten der Ungewissheit kann ein Unternehmen seinen Kunden echten Mehrwert bieten. Es kann ihnen zum Beispiel, wenn sich die Verbraucher gerade im Erforschungs- und Bewertungsmodus befinden, konkret dabei helfen, ihre Optionen zu überprüfen.
Präsenz wird immer wichtiger, wenn gewohnte Abläufe nicht mehr funktionieren
Die anhaltende Beeinträchtigung von Verbraucherverhalten und -gewohnheiten macht es für Unternehmen wichtiger denn je, in der Entscheidungsphase präsent zu sein. Sie müssen in der Pandemie beweisen, dass sie flexibel auf Veränderungen im Nutzerverhalten reagieren und für neue Handlungsweisen offen sind.
Die Markenkommunikation muss in Zeiten emotionaler Belastung besonders einfühlsam sein. Dabei sollte jedoch auch berücksichtigt werden, dass das Aufnahmevermögen der Verbraucher begrenzt ist und zusätzlich strapaziert wird. Es kommt also auch darauf an, prägnant und auf den Punkt zu kommunizieren. Damit Sie als Marke gehört werden, sollten Sie Ihre Hauptbotschaft nicht durch unnötige Zusatzbotschaften abschwächen. Konzentrieren Sie sich auf eine Kernaussage.
Wie Verbraucher Kaufoptionen suchen und bewerten
In einer Zeit der Umbrüche und zunehmender Verunsicherung benötigen Verbraucher mehr Unterstützung, um sich in der „messy Middle“, also der komplexen Entscheidungsphase im Kaufprozess, zurechtzufinden und alle Optionen abwägen zu können. In unserer Studie zur Entscheidungsanalyse haben wir sechs sogenannte Bias ausgemacht, die sich maßgeblich auf die Kaufentscheidung auswirken. Nun haben wir untersucht, welchen Einfluss Corona auf diese Faktoren nimmt.
1. Soziale Bestätigung wird noch wichtiger
Soziale Bestätigung spielt gerade in Zeiten des Wandels eine besonders große Rolle. Die Orientierung an anderen hilft dabei, sich zu vergewissern, ob das eigene Handeln richtig ist. Die Menschen beeinflussen einander und bekräftigen und bestätigen sich gegenseitig in ihren Entscheidungen. Prominente Beispiele dafür sind der Trend zum Selberbacken und die Beliebtheit von Work-out-Videos für zu Hause. Unternehmen sollten sich mit dem Prinzip der sozialen Bestätigung vertraut machen, um nachvollziehen zu können, wie Verbraucher ihre Optionen bei Kaufentscheidungen abwägen.
2. Expertenurteile sind gefragt
Angesichts vollkommen neuer Herausforderungen suchen wir den Rat glaubwürdiger und kompetenter Fachleute. Das gilt nicht nur für Themen wie Gesundheit und Sicherheit, sondern auch für alltägliche Entscheidungen, wie zum Beispiel zum richtigen Produkt oder zum passenden Kaufzeitpunkt. Unternehmen sollten im Blick haben, welche Experten in welcher Situation die nötige Kompetenz mitbringen. Gerade der ungewisse Verlauf der Pandemie stellt sie zudem vor die große Herausforderung, immer gut informiert zu sein, um keine falschen Signale auszusenden oder nicht gegen behördliche Auflagen zu verstoßen.
3. Spezifische Produktmerkmale werden relevanter
Das Herausstellen von Produktmerkmalen hat sich bei der Entscheidungsfindung in bestimmten Kategorien bewährt. Es kann sich dabei um einfache Auszeichnungen auf Lebensmitteln handeln (wie z. B. Bio, glutenfrei) oder um bestimmte Merkmale (wie ein kostenloses Datenvolumen für den Mobilfunkvertrag). Unter psychischer Belastung neigen wir verstärkt dazu, auf bestimmte Produktmerkmale zu achten. Deshalb sollten Unternehmen wissen, wie sich die Präferenzen und Bedürfnisse der Verbraucher in einer Krise verändern. Ein Beispiel: In der aktuellen Lage sind Geschwindigkeit und Stabilität von Breitbandanschlüssen für alle, die im Homeoffice arbeiten, sehr viel wichtiger geworden. Bei der Reiseplanung haben flexible Stornomöglichkeiten einen hohen Stellenwert. Als Unternehmen gilt es, solche Aspekte zu kennen, um ggf. einzelne Produkte anzupassen oder bereits vorhandene Features besser zu bewerben.
4. Bonuszugaben: die Kraft des Kostenlosen bei finanzieller Belastung
Unsere Experimente haben gezeigt, dass kostenlose Produkte eine dauerhaft starke Anziehung ausüben. Versprechen wie „Keine Versandkosten“ oder „Zwei Produkte zum Preis von einem“ sind immer verlockend. In Zeiten finanzieller Unsicherheit steht das Wort „kostenlos“ höher im Kurs denn je. Dennoch sollten Bonuszugaben wohldosiert eingesetzt werden. Machen Sie relevante Angebote, die sich an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren. Beachten Sie dabei vor allem, den richtigen Ton zu treffen, wenn es um die Finanzsituation der Verbraucher geht.
5. Vorsicht mit künstlicher Verknappung als Verkaufsargument
Dieses Jahr waren mehr Verbraucher denn je mit einem verknappten Warenangebot konfrontiert. Plötzlich waren Alltagsgüter wie Mehl oder Toilettenpapier Raritäten im Supermarktregal. Es kam zu Hamsterkäufen, weil viele Angst hatten, nichts mehr zu bekommen. Unternehmen sollten Knappheit daher nicht unbedacht einsetzen, um den Verkauf anzukurbeln. Sie sollten ihren Kunden mit Rat und Tat zu Produkten und Dienstleistungen zur Seite stehen, ohne jedoch übergriffig oder aufdringlich zu wirken. Vermeiden Sie es, die Verbraucher mit Werbung zu überfluten, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung in der derzeitigen Situation besonders gefragt ist. Geben Sie den Verbrauchern die Zeit, ihre Optionen zu überdenken, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen.
6. Sofortige Verfügbarkeit: wann, wenn nicht jetzt?
Wir Menschen leben in der Gegenwart. Deshalb sind sofortige Downloads und die Lieferung am nächsten Tag so erfolgreiche Maßnahmen. Gleichzeitig ist dies der Grund, weshalb langfristige Ziele wie Abnehmen oder Sparen für viele eine so große Herausforderung darstellen. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, weil die Zukunft ungewiss ist. Große Ereignisse wie Urlaubsreisen oder Hochzeitsfeiern werden zwar vertagt, dafür versuchen wir, in anderen Bereichen schneller zu Entscheidungen zu gelangen und mehr im Hier und Jetzt zu leben. Genau deshalb ist Verfügbarkeit auch bei plötzlichen Veränderungen bedeutsam. Speziell in einer Krise ist es wichtig, den Verbrauchern zu versichern, dass sie die gewünschten Produkte und Services so schnell wie möglich erhalten.
Wer die Verbraucher auf dem Weg zur Kaufentscheidung unterstützen will, hat heutzutage mehr Möglichkeiten denn je.
Drei wichtige Marketingmaßnahmen für die Kaufentscheidung
Wer die Verbraucher auf dem Weg zur Kaufentscheidung unterstützen will, hat heutzutage mehr Möglichkeiten denn je. Das gilt gerade auch in Phasen der wirtschaftlichen Erholung. Um in der „messy Middle“ des Kaufprozesses die Nase vorn zu haben, sollten die folgenden drei Aspekte beachtet werden:
- Machen Sie deutlich, dass Sie ein offenes Ohr für die Wünsche und Probleme Ihrer Kunden haben. Demonstrieren Sie Ihr Verständnis für die Situation der Menschen in schwierigen Zeiten.
- Berücksichtigen Sie die aktuelle Stimmungslage. Setzen Sie Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung intelligent und verantwortungsbewusst um. So können Sie Nutzern bei der Entscheidung hilfreich zur Seite stehen und den Markenwert langfristig stärken.
- Seien Sie flexibel, wenn sich die Lage ändert. Entwickeln Sie sich stetig weiter und nutzen Sie die Zeit des Umbruchs, um neue Strategien zu testen, zu lernen und zu optimieren.